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Rachespiel

Rachespiel

Titel: Rachespiel
Autoren: Niamh O'Connor
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PROLOG
    Tara Parker Trench hielt an der einzigen freien Zapfsäule der Tankstelle am Eden Quay und stellte Beyoncés »Put a Ring On It« ab, nachdem sie angestrengt zwischen den arbeitenden Scheibenwischern hindurchgespäht hatte.
    Es war neun Uhr an einem Sonntagabend und längst stockdunkel, aber sie hatte keine Bedenken, ihren dreijährigen Sohn in der Nähe der Dubliner Innenstadt allein im Auto zurückzulassen. Schließlich würde sie höchstens eine Minute weg sein, und außerdem goss es wie aus Kübeln. Ihr Bauch tat weh, als sie sich nach hinten umdrehte, und sie presste unwillkürlich die Hand darauf.
    Presley war auf dem Rücksitz eingenickt und schnurrte wie ein Kätzchen. Die Ray-Ban, die sie ihm gekauft hatte, war auf seine Nasenspitze gerutscht, der Kragen seiner Tommy-Hilfiger-Jacke hochgeklappt, und der Schirm seiner Baseballkappe von den New York Yankees hing schief über einem Ohr, skatermäßig.
    »Was bist du doch für ein cooler Typ«, sagte sie und drückte zärtlich einen seiner kleinen Nike-Turnschuhe.
    Sie schnallte sich ab, reckte sich zwischen den Sitzen hindurch und versuchte, seinen Kopf in eine bequemere Lage zu bringen, wobei sie schmerzlich das Gesicht verzog. Presleys Kopf kippte wieder nach vorn, und sie angelte nach dem Kuschelhund auf seinem Schoß, der als Kissen dienen konnte. Doch obwohl ihr Sohn fest schlief, wollten seine pummeligen kleinen Finger ihn nicht loslassen.
    Tara lächelte. Sie war erst sechzehn gewesen, als sie mit ihm schwanger wurde, und hatte darum kämpfen müssen, ihn bekommen und behalten zu dürfen. Sie hatte es nicht bereut – sie waren ein gutes Team, Presley und sie. Den vielen Streitigkeiten mit ihrer Mutter über ihre Zukunft zum Trotz hatte sie es geschafft, ein gutes Leben für sich und ihr Kind aufzubauen. Nie wieder würde sie die Entbehrungen erfahren wollen, die sie noch vor ein paar Jahren durchgemacht hatte. Presley verdiente das Beste im Leben, und sie ebenfalls.
    Ein schrilles Hupen von dem Wagen hinter ihr drängte sie, sich ranzuhalten. Tara sah in den Rückspiegel und machte eine abwiegelnde Geste. Fräulein Ungeduld war eine Botoxbrünette in den Vierzigern mit aufgeworfenen Kollagenlippen, die einen nagelneuen Jaguar fuhr. Als Tara ihr eigenes Gesicht erblickte, wischte sie sich hastig das verschmierte Mascara unter den Augen ab. Je schneller sie nach Hause und unter die Dusche kam, desto besser.
    Sie stieg aus ihrem schwarzen Mini Cooper mit weißen Rallyestreifen über der Motorhaube und zog eine Grimasse. Der Liffey stank wie immer, bevor dichter Nebel heraufzog. Während sie den Tankdeckel aufschraubte, wies sie die Jaguar-Lady mit einer Handbewegung auf die übrigen Zapfstellen hin. Überall standen die Autos Stoßstange an Stoßstange, und das würde nicht nur an dieser Tankstelle so sein. Jeder Autofahrer im Land mit nur fünf Pfen nig Verstand würde heute Abend noch mal volltanken, denn morgen war Budget Day, an dem der Finanzminister seinen Haushaltsplan vorstellte, und angesichts der Belastungen durch die Bankenrettung und den Zinssatz des IWF konnte man sich auf weitere saftige Steuererhöhungen gefasst machen.
    Ein anzüglicher Pfiff ertönte, und Tara erstarrte. Sie wusste, dass er ihr galt. Die Männer pfiffen ihr nach, seit sie zwölf war. Der hier hatte Probleme mit Frauen – sein Pfiff war zu lang gezogen, um freundlich oder scherzhaft gemeint zu sein.
    Sie strich sich die langen Haare aus den Augen und hielt den Kopf gesenkt, fühlte sich auf einmal befangen in dem kurzen Glitzerkleid, das sie noch trug, und den zwölf Zentimeter hohen Absätzen. Aus den Augenwinkeln peilte sie den Typ an, der vermutlich für den Pfiff verantwortlich war. Er saß am Steuer eines zerbeulten Toyota Hiace und parkte vor Säule Nummer drei. Ein weißer Mitsubishi mit protzigen Radkappen und Heckspoiler stand zwischen ihnen. An der Zapfsäule in der Bucht rechts von ihr, die der Straße am nächsten lag, flatterte ein weißes Blatt, auf dem stand, dass sie außer Betrieb war. Links von Tara ließ der Milchbubi-Rennfahrer in dem weißen Mitsubishi gerade sein getöntes Fenster herunter.
    »Hey, ich kenn dich doch!«, rief er. »Du bist dieses Model, stimmt’s? Ich hab ein Poster von dir an der Wand. Das, auf dem du in einer Schuluniform posierst wie Britney Spears, du weißt schon.«
    Tara seufzte. Sie erinnerte sich an den Shot – er war für eine Kampagne gegen Analphabetismus gemacht worden und sollte ältere Menschen dazu ermutigen,
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