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Todesküste

Todesküste

Titel: Todesküste
Autoren: H Nygaard
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EINS
    Lars Meiners sah, wie sein Vater Steffen einen Stoß in
den Rücken erhielt, stolperte und dabei einem anderen Mann so nahe kam, dass
dieser ihm einen bösen Blick zuwarf. Bevor Steffen Meiners sich umdrehen
konnte, hörte Lars neben sich eine Männerstimme.
    »Entschuldigung. Aber bei diesem Gedränge … War nicht
so gemeint.« Der Rest der Worte des grauhaarigen Mannes ging im Lärm der Menge
unter, während er von seiner Frau am Ärmel fortgezogen wurde.
    »Manno, ist das ätzend«, beklagte sich Lars, der hoch
aufgeschossene schlaksige Vierzehnjährige.
    »Wenn du mit deinen Freunden zum Heider Jahrmarkt
gehst, ist es genauso voll«, entgegnete sein Vater.
    »Das ist ganz was anderes. Aber dies hier …«
    »Nun beschwer dich nicht ständig. Mama und Heike haben
sich lange auf den Marktfrieden gefreut.«
    Lars suchte seine Mutter, die mit seiner zwölfjährigen
Schwester durch andere Besucher des Volksfestes abgedrängt worden war. An dieser
Stelle im »Dorf Tellingstedt«, wie der Bereich des Festplatzes genannt wurde,
stockte der Besucherfluss. Die Ursache waren zwei Musikanten in historischen
Gewändern, die mit ihren Dudelsäcken ein »Platzkonzert« gaben, während
gegenüber das qualmende Holzfeuer einer Zinngießerei die Menschen ein wenig auf
Abstand hielt. An einem Marktstand war ein großer Waschzuber aufgebaut, und ein
Mann winkte fröhlich aus dem Gefäß, während eine junge Frau weitere Kunden für
ihre Badestube anzulocken suchte, dabei aber schlagfertig einer Gruppe von
jungen Leuten antwortete, die offenkundig ein wenig zu viel vom dargebotenen
Met probiert hatten.
    Lars entdeckte den blonden Wuschelkopf seiner Mutter
ein Stück in Richtung eines Standes, wo ein kräftiger Mann an der Spindel einer
großen Druckpresse drehte und die Kunst des Buchdrucks vorführte.
    Das Bilderbuchwetter über Dithmarschen hatte
zahlreiche Besucher aus der Stadt, aber auch von weiter her zum traditionellen
Volksfest »Heider Marktfrieden« – »De vrie markede tho der Heyde« – angelockt,
das den Eindruck und die Atmosphäre des Markttreibens im Spätmittelalter
wiedergeben soll.
    Gaukler und Musikanten liefen durch die Gassen und
gaben ihre Kunst zum Besten. Mittelalterliche Handwerke boten ihre Waren und
Dienste an und zeigten dem erstaunten Publikum, mit welchem Geschick auch
Menschen von heute mit den alten Techniken und Werkzeugen umzugehen verstanden.
Darunter waren historische Gewerke wie Korbmacher und Besenbinder, aber auch
Glasbläser und Kunst- und Goldschmiede, die ihr Können nach traditioneller Art
vor den Augen der Besucher darboten. Natürlich durften auch mittelalterliche
Gaumengenüsse nicht fehlen, vom rustikalen Brot über den Spießbraten bis zum
Met, selbst wenn das Bier aus der heutigen Zeit stammte und in Konkurrenz zu
den Weinschenken stand, an deren rohen Holztischen sich die Leute drängten. Das
lebhafte Treiben mit den fröhlichen Menschen und bunten historischen Gewändern
wurde von einem unbeschreiblichen Duft von Holzfeuerrauch und Gewürzen
begleitet.
    Über dem Ganzen thronte der Turm der alten
St.-Jürgen-Kirche, die den Heider Marktplatz beherrschte, und selbst das nicht
zum Mittelalter passende Gebäudeensemble, das von der alten Postelvilla geprägt
wurde, wirkte nicht fremd.
    St. Jürgen, so hatte sein Vater ihm einmal erklärt,
ist niederdeutsch für Georg. Und der Ritter St. Georg ist nicht nur der Pate
der Kirche, sondern auch der Stadt Heide.
    Lars warf einen kurzen Blick auf das wunderbar
restaurierte Gebäude, in dem sich heute die Volkshochschule der Stadt befand.
Er wusste, dass insbesondere sein Vater die gemeinsamen Ausflüge mit der
Familie liebte und einfach nicht verstehen wollte, dass Jugendliche andere
Interessen hatten. Lars fand es öde, sich durch das Gedränge zu schieben.
Lieber hätte er den Marktfrieden mit seinen Freunden besucht. Zu Hause hatte es
deshalb Diskussionen gegeben. Schließlich hatte sich der Junge dem Wunsch des
Vaters gebeugt. Es ist das letzte Mal, dass ich den Alten und Heike
hinterhertrotte, dachte sich Lars. In der Menge entdeckte er Kevin, Manuel und
Fathi.
    »Hey, Lars«, rief ihm Kevin zu. »Komm. Wir ziehen ein
bisschen rum.«
    »Nee«, antwortete Lars missmutig und schluckte eine
Erklärung hinunter, als sich sein Vater zu ihm umdrehte.
    »Was ist?«, fragte Steffen Meiners und sah dann Lars’
Freunde. »Hallo, Kevin«, rief er. »Wo sind deine Eltern?«
    Der rothaarige Junge lachte, dass die Sommersprossen
in seinem
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