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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel
Autoren: Ronald M. Hahn
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war mörderisch schön. Am Himmel tobte eine Farborgie. Das Zirpen der Zykaas erinnerte ihn an das Lied über die Frau, die einer Wildblume glich.
    Noch nie war sein Gehör so scharf gewesen. Noch nie hatte er Nachtvögel als Chorsänger empfunden. Wie weich der Boden unter seinen Füßen war. Rulfan hatte das Gefühl, über einen Teppich zu gehen.
    Eine Frau mit mandelförmigen Augen, blauschwarzem Haar und einem Busen, der so schön geformt war, dass er das Verlangen spürte, ihn auf der Stelle zu lieblosen, stand, von hinten beleuchtet, in einem Türrahmen und lächelte einladend.
    Rulfan blieb stehen und zog in Erwägung, ihre Bekanntschaft zu machen. Dann sah er am Ende der Gasse unter dem prächtig glitzernden Firmament Elfen über den Boden schweben. Er winkte der mandeläugigen Schönen zu und beschleunigte seinen Schritt.
    Kindheitserinnerungen nahmen ihn gefangen: Zierliche Kreaturen, die sich im Mondenschein auf einer Waldlichtung tummelten, während hinter ihnen ein gigantisch aufgeblähter Mond durch die Bäume schien… Ein Bild aus einem Buch, das im Bunker von Salisbury in einem Rechner existierte…
    Die Elfen waren keine Elfen, sondern überdimensionale Glühwürmchen. Als Rulfan an die Stelle kam, an der er sie gesehen hatte, waren sie weg. Schon gehörte sein Interesse anderen Dingen: Er hörte der Flora beim Wachsen zu und erfreute sich an ihrem erotischen Knistern.
    Der Ort lag hinter ihm. Er schlenderte unter einer wundersamen Sternenpracht über einen schmalen Pfad und fragte sich, ob er einem Phantom nachjagte.
    Wie lange folgte er nun schon der Fährte der Frau, die einen anderen liebte? Welch rätselhafte Chemie hatte ihn dazu verlockte, sich an ihre Fersen zu heften? Früher, vor einigen Jahren, hatte Aruula in dem Glauben, sie würde ihren Geliebten nie mehr wieder sehen, das Lager mit ihm geteilt.
    Irgendwann war Commander Drax dann doch zurückgekehrt – und sie hatte sich ihm erneut zugewandt.
    Nun war die Lage wieder so wie damals. Nur stand diesmal fest, dass eine Rückkehr des Commanders ausgeschlossen war.
    Er hatte sich zum Zeitpunkt des weltweiten EMP im Orbit aufgehalten; eine Rückkehr zur Erde war unmöglich gewesen.
    Entweder war das Shuttle beim Versuch verglüht, oder es kreiste mit Matthew Drax’ Leichnam noch immer in der Umlaufbahn. Doch selbst der Gedanke an den Tod des Freundes änderte nichts an Rulfans Hochstimmung.
    Er blieb am Rand einer Klippe stehen und schaute zum Himmel hinauf. Was für ein Anblick: Myriaden glitzernde Lichtpunkte auf einer samtschwarzen Decke. Weiße Schlieren; Wolkenreste. Ein Schwarm reiherartiger Vögel jagte mit rauschenden Schwingen unter dem Firmament dahin und stürzte sich auf irgendetwas, das die Nase aus dem Ozean hob.
    Unter ihm, am sandigen Strand, brannten gelbrote Feuer.
    Dunkelbraune Menschen mit blauschwarzem Haar tanzten zum Gerassel tamburinähnlicher Rhythmusinstrumente. Angenehm klingende Stimmen huben zu einem vokalreichen Gesang an.
    Ihr Klang schmeichelte den Ohren und verführten Rulfan dazu, am Rand der Klippe Platz zu nehmen.
    Was für ein Bild! Was für eine wunderbare Welt. Die Brandung sang Run away, let your heart be your guide. Und warum auch nicht? »Man muss sein Glück beim Schopfe fassen, wenn es einem begegnet«, hatte sein Vater gesagt. »Es begegnet dir nur einmal, mein Junge. Tu mir den Gefallen und sei nicht blind, wenn es deinen Weg kreuzt. Du würdest es für den Rest deines Lebens bereuen.«
    Rulfan atmete tief ein und dachte an seinen Begleiter. Prinz Victorius hatte den Gesang der Brandung offenbar schon vor ihm verstanden.
    Was um alles in der Welt soll ich überhaupt in Australien?, ging es ihm durch den Kopf. Hab ich denn keine anderen Sorgen?
    Sein Vorhaben kam ihm plötzlich hirnverbrannt vor. Er wusste ja nicht einmal, ob es Aruula recht war, wenn er an ihrem Zielort aufkreuzte, dem ominösen brennenden Felsen.
    Von Victorius hatte er erfahren, dass eine unbekannte Macht auf dem australischen Kontinent die Telepathen der Erde zu sich rief. Er kannte ihre Ziele nicht.
    Rulfan nahm an, dass der Ruf auch Aruula erreicht hatte. Er konnte sie finden, wenn er bei Victorius blieb. Der Prinz würde den Weg, den die Macht ihm wies, instinktiv erkennen.
    Falls er jetzt noch Lust dazu hatte.
    ***
    Als Rulfan die Augen öffnete, war der Himmel bleigrau. Ein kühler Wind pfiff um seine Ohren.
    Die Wolkenfetzen über ihm waren so schmutzig wie die Schaumkronen der Brandung. Über Nacht war das farbsatte
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