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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel
Autoren: Ronald M. Hahn
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Gras zu Erbsensuppengrün verkommen. Das goldgelbe Schilf vom Abend sah nun beige aus. Die bunten Papageien, deren Gesang sein Wegdämmern versüßt hatte, kreischten an diesem Morgen so schrill und aggressiv, dass Rulfan die Zähne fletschte und sie mit den Fäusten bedrohte.
    Sein Kopf tat weh. Seine Muskeln schmerzten. Als er aufstand, fühlte er sich wie ein Stubenhocker, der Jahre auf dem Sofa verbracht hatte. Er hatte sich in der Nacht einige hundert Meter vom Ort entfernt. Die Stille der Nacht war gewichen. Nun herrschte zwischen den Pfahlbauten die Geschäftigkeit einer ländlichen Kultur.
    Überall schepperte und klirrte es. Kinder nörgelten und greinten. Merkwürdige Tiere blökten, quäkten und kackten, wo sie gerade standen. Die Frauen, die er am Abend zuvor als göttlich schön empfunden hatte, sahen nun normal aus: die eine hässlich, die andere hübsch, dazwischen das übliche Durchschnittsmaß.
    Rulfan wanderte auf der Suche nach dem Gasthaus, in dem er Victorius zurückgelassen hatte, durch die Gassen. Das Gefühl, dass sich sein Leben über Nacht einschneidend verändert hatte, machte ihm zu schaffen. Was war passiert?
    Gestern Abend waren die Farben doch so intensiv gewesen!
    Heute wirkte die Welt so niederschmetternd abgenutzt und verwohnt, dass es ihm aufs Gemüt schlug: Sein Kreislauf drehte durch. Sein Herz fing an zu rasen. Kalter Schweiß bildete sich auf Rulfans Stirn. Er spürte, dass seine Knie weich wurden.
    Als er sich gerade fragte, welchen Eindruck es machte, wenn ein Mann seiner Statur sich vor den Augen aller wie ein Schwächling gebärdete, fühlte er sich bei den Schultern gepackt.
    Übelkeit stieg in ihm hoch. Er schluckte. Schon zog ihn jemand unter einen Pfahlbau und sagte mit dem Idiom eines Britaniers: »Hast Grindrim getrunken, was? Komm raus aus der Sonne, Mann!«
    Sonne?, dachte Rulfan. Wo denn? »Grin… dr…?«, hörte er sich lallen.
    Der unbekannte Helfer schob ihn auf einen Hocker und trat dann ins Bild: Er war eineinhalb Meter groß, tätowiert und hatte schätzungsweise ein halbes Pfund Metall an seinem Kopf befestigt. Er besaß den gebräunten Teint eines Seebären, die von roten Äderchen durchzogenen Augen eines Säufers und eine lockige rote Mähne. Seine Kleidung bestand aus Stoff- und Lederflicken. Mindestens ein Ärmel gehörte zu einer Kapitänsuniform aus Britana.
    »Grindrim ist das reinste Teufelszeug. Es macht schon nach einem Schluck süchtig.« Rulfans Retter spuckte aus. »Zum Glück verträgt mein Magen nichts Süßes. Ich würde das Zeug sofort wieder ausspucken.« Er beugte sich vor. »Was bist du für einer, Mann? Du siehst komisch aus. Wo kommst du her?«
    Rulfan lallte seinen Namen und berichtete von seinem Gefährten, den er suchte. Er fühlte sich scheußlich und sehnte sich nach einem Bett. Er war sich nicht sicher, ob sein Retter ihn verstand, denn selbst er empfand sich als sehr unkonzentriert. Es fiel ihm schwer sich zu artikulieren. Die Vorstellung, wissentlich von irgendetwas abhängig gemacht worden zu sein, ließ Wut in ihm aufwallen. Er fühlte sich reingelegt. Für wen hielt sich diese verdammte Liwán? Wie konnte sie es wagen, über seine Zukunft zu bestimmen?
    »Unter dem Einfluss von Grindrim«, fuhr sein Gegenüber fort, »erlebt man die Welt und ihre Farben intensiver. Wenn die Wirkung nachlässt, ist die Realität so schal, grau und niederschmetternd, dass man sofort ein Gläschen hinterher kippen will, um die Depression zu vertreiben…« Er räusperte sich. »Man nennt mich übrigens Yonniboi.«
    Rulfan würgte. Eins konnte er bestätigen: Er war entsetzlich niedergeschlagen.
    »Grindrim hat physische und psychische Auswirkungen auf den Konsumenten«, fuhr Yonniboi in einem dozierenden Tonfall fort. Seine Wortwahl passte irgendwie nicht zu seinem Äußeren. »Wenn man aus dem Rausch erwacht, geht einem die Muffe eins zu achtzig; die Pumpe rast; der Kreislauf benimmt sich wie ‘ne Sau – man fühlt sich mehr oder weniger so, als hätte man die letzten drei Tage und Nächte ohne Schlaf in Gesellschaft von Branntweinfässern und losen Frauen verbracht.«
    »Yeah…« Rulfan stöhnte. Die Säure in seinem Magen brodelte. Am liebsten hätte er sich auf Yonnibois spitze Stulpenstiefel übergeben. Der Mann hatte Recht! Er war noch nie in seinem Leben so niedergeschlagen gewesen.
    Was war die Welt doch für ein Jammertal! Was war er doch für ein Idiot! Eins wurde ihm nun klar: Er machte sich zum Narren, wenn er die Reise
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