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Am Ende der Angst

Am Ende der Angst

Titel: Am Ende der Angst
Autoren: Martin Johannson
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Prolog
     
    Ein schmaler Streifen Mondlicht stahl sich durch eine Ritze des zugeklebten Fensters und schlich unerträglich langsam über den kalten, steinernen Boden. Die Frau zitterte vor Kälte. Und vor Angst. Sie strich mit ihren Händen über ihre nackten Oberarme, um sich zu wärmen, doch es half nicht viel. Die Kälte kroch ihre nackten Beine hinauf, ließ die kurzen Haarstoppeln an ihrer Scham aufrecht stehen und ihre Brustwarzen erigieren. Die Frau bedeckte ihre nackten Brüste, als müsse sie sie vor unsichtbaren Zuschauern verstecken, doch sie war allein in diesem Loch. Sie spürte den Schmerz an ihren Armen und Brüsten, und in ihrem Schoß. Reste von Blut klebten zwischen ihren Beinen. Abermals erschütterte ein starkes Zittern ihren Körper und sie blickte sich, nach einem Ausweg suchend, um. Doch alles, was sie sah, war ihr Gefängnis, ein kalter, düsterer Raum mit einem kleinen Fenster in Kopfhöhe, zugeklebt und vergittert, so dass sie es nicht öffnen konnte. Dem Fenster gegenüber befand sich eine Tür, ebenfalls verschlossen. Sonst führte kein Weg nach draußen. Sie hatte jeden Stein abgeklopft, jede Ritze in der Finsternis untersucht, aber nichts gefunden.
    Es kam ihr vor, als würde sie sich bereits seit einer halben Ewigkeit in diesem Kellerloch befinden, doch tatsächlich waren es nur wenige Stunden. Seit man sie hier eingesperrt hatte, hatte sie geschrien, gebettelt, geflucht und gebetet und nach einer Fluchtmöglichkeit gesucht. Alles vergeblich. Entweder hörten sie sie nicht. Oder sie wollten sie nicht hören.
    Plötzlich ertönte ein leises Klopfen an der Tür.
    »Hallo?«, wisperte eine Stimme. »Nicht erschrecken! Ich will Ihnen helfen!«
    Die Frau sah sich panisch um. Was, wenn das ein perverser Trick war, um ihr noch mehr Schmerzen zuzufügen? Sie zitterte erneut, so dass ihre Zähne klapperten.
    Aber was, wenn ihr wirklich jemand helfen wollte?
    Sie schlich zur Tür. »Wer sind Sie?« Sie konnte ihre Stimme kaum hören, so leise sprach sie.
    »Mein Name ist Daniel. Ich mache jetzt die Tür auf.«
    Ängstlich wich die Frau in dem Kellerverlies ein paar Schritte zurück und verkroch sich in die Ecke hinter dem Streifen Mondlicht. Wie eine Lichtschranke lag er vor ihr, und sie bildete sich für einen kurzen, wahnsinnigen Moment ein, er könne das Böse tatsächlich von ihr abhalten.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür öffnete sich.
    Ein Mann steckte seinen Kopf in den Raum.
    »Haben Sie keine Angst«, flüsterte er. »Ich bin allein und will Ihnen helfen. Es tut mir leid, was Ihnen zugefügt wurde, sehr, sehr leid! Ich verabscheue meine Freunde zutiefst und werde sie auch morgen bei der Polizei anzeigen. Vertrauen Sie mir!«
    Die nackte Frau in der Ecke versuchte, ihr Zittern zu beherrschen. Er war wirklich allein. Hinter ihm tauchten keine betrunkenen Kerle mit Schlagstöcken und heruntergelassener Hose darauf, sich wieder an ihr zu vergreifen.
    »Bitte helfen Sie mir! Bitte!«
    Der Mann schlüpfte durch die offene Tür. In der Hand hielt er ein dunkles Etwas. »Ihre Sachen konnte ich nicht mitbringen, aber ich habe eine Decke für Sie. Und ich weiß, wie Sie entkommen können.«
    Die Frau stand zögernd auf, nahm die Decke, die er ihr reichte, und schlang sie um ihren bebenden Körper.
    »Ich muss zurück«, fuhr der Mann leise fort, »damit sie mich nicht vermissen, aber ich lasse die Tür offen. Am Ende dieses Ganges ist ein kaputtes Fenster. Aus dem können Sie klettern und ins Freie laufen. Aber warten Sie, bis Sie Musik hören. Das ist der günstigste Moment. Dann rennen Sie! Rennen Sie um Ihr Leben! Haben Sie mich verstanden?«
    Sie nickte.
    »Viel Glück!«, fügte Daniel hinzu, dann wandte er sich zurück zur Tür.
    »Danke«, wisperte die Frau. »Vielen, vielen Dank!«
    Er lächelte in die Dunkelheit. »Rennen Sie um Ihr Leben!« Dann wurde er von der Finsternis des Ganges verschluckt.
    Die Zeit kroch mühsam langsam wie schabende Insektenbeine durch den kalten Kerker der Frau. Die Decke wärmte sie nur wenig. Angestrengt lauschte sie in die Nacht, um die Musik, die der Mann angekündigt hatte, nicht zu überhören. Doch alles blieb still. Irgendwo im Haus konnte sie die amüsierte Stimme einer Frau und ein tiefes Lachen wahrnehmen. Es gehörte zu einem ihrer Peiniger.
    Noch immer keine Musik. Doch dann! Als sie es schon fast aufgeben wollte, vernahm sie tatsächlich Klänge, die von einer Schallplatte oder CD herrührten. Bläser stießen ins Horn, darüber
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