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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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besonders für zwei Erzählungen, die man als existentialisti-sche Kriminalstories bezeichnen könnte, sowie eine dritte, die ins Gespensterfach greift: ›Ein gefährliches Hobby‹
    (1960) und ›Ein Mord‹ (konzipiert 1978, erschienen 1980) sowie ›Die zweite Zigarette‹, geschrieben zwischen 1976
    und 1978. In ›Ein gefährliches Hobby‹ scheint es, als hätte sich der Text unter den Händen der Autorin gehäutet: Aus einer Kriminalstory wird die Studie über einen Verzweifel-ten, der den Erfolg seines Verbrechens und das Ausbleiben des Weltgerichts nicht erträgt. Die schiere Virtuosität der Diebstähle im ersten Teil würde schlecht zu der Alles-oder-nichts-Entscheidung am Ende passen, steckte hinter der Selbstbezichtigung des Mörders nicht auch die »Sehnsucht nach dem Scheitern«, über die Patricia Highsmith –in anderem Zusammenhang – am 15. Juni 1957 im Notizbuch schreibt.
    Die Erzählung ›Ein Mord‹ ist wie eine Wand aus Reis-papier, hinter der andere und weit größere Schatten um-herhuschen. Zwar gibt es im Notizbuch nur einen einzigen direkten Hinweis auf den Text, nämlich am 17. Juni 1978
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    die Paraphrase einer kurzen Zeitungsmeldung (»Edward usw., vierundzwanzig Jahre alt, ermordet seine zwei-undzwanzigjährige Frau Laura…«), dem eine kleine Plot-Skizze vorausgeht. Doch die Geschichte selbst legt eine allegorische Lesart nahe. Robert Lottman tötet seine Frau Lee, weil sie seinem Bild – der Kunstmuse, die er einst in einer Skulptur verewigte – nach der Heirat und nach der Geburt eines Kindes nicht mehr entspricht.
    Die Erzählung entfaltet das Motiv des Irrationalen, aber Zwingenden des Verbrechens mit größter Klarheit. In keiner anderen Geschichte des Bandes übernimmt eine bloße Idee – eher ein reichlich verstiegenes Konstrukt – so sehr die Herrschaft wie hier. Robert ist ein friedlicher, gleichgültiger Mörder, der keinen anderen Ausweg sähe, selbst wenn er eine zweite Chance bekäme. Er war nicht wütend, sagt er. Am Anfang hatte er in der jungen Frau eine Göttin gesehen. Dann wurde sie Mutter und zu einem anderen Menschen. Sie abzuschieben und einem anderen Mann un-terzujubeln schlug fehl. Sie gab das Fotografieren auf. Sie begann ihn zu langweilen. Sein schöpferischer Impuls er-lahmte. Er lebte in einer Atmosphäre stiller Hoffnungslo-sigkeit. Was hätte er tun sollen?
    Der Selbstmord in der Gefängniszelle, der später folgt, ist so verstiegen und erschreckend wie die Erzählung selbst. Das Notizbuch allerdings gibt eine zweite Schicht der Allegorisierung frei. Denn tatsächlich erweisen sich die Besorgnisse des Bildhauers Robert – männliche Besorgnisse – als brennende Fragen der Schriftstellerin Patricia Highsmith, die in Liebesbeziehungen den männlichen Part zu übernehmen pflegte und sich oft genug mit Ansprüchen 368
    konfrontiert sah, die sie von ihrer Kunst zu entfernen drohten. Jedenfalls haben die angstbesetzten Themen der Erzählung ›Ein Mord‹ – Partnerschaft, Ehe, Kinder, ein kunstferner Alltag – in den Notizbüchern der Schriftstellerin regelmäßige Auftritte, und stellenweise liest sich das wie ein aus unbelasteter Macho-Perspektive geschriebener Klagekatalog. Der Künstler – »the honest man and the honest artist«, wie es am 30. April 1955 heißt – ist bei Patricia Highsmith genau das, ein Er, der sich zwecks höherer Selbstfeier lästige Partnerinnen und deren noch lästigere Forderungen vom Leibe halten muß. Daß die späte Highsmith ihre frühen Obsessionen in dieser Er-zählung abermals literarisch verarbeitete, zeugt von der Langlebigkeit ihres Kunstidealismus. Er dürfte dauerhafte Bindungen in ihrem Privatleben verhindert haben.
    Der Selbstmorde ist noch kein Ende. Auch ›Die zweite Zigarette‹, die einzige Gespenstergeschichte des Bandes, endet auf diese Weise. Daneben kehrt in der Erzählung das Highsmith-Motiv der gegensätzlichen und komplementären Brüder wieder, die sich ebendeshalb voneinander angezogen fühlen – schon der erste Roman Zwei Fremde im Zug baut auf diesen Konflikt auf. Hier allerdings ist er auf die Spitze getrieben, indem sich die komplementären Charaktere in ein und dasselbe Leben gezwängt sehen. Daß die »irreale« Hälfte der Figur die »reale« an deren Versagen in verschiedenen Lebensbereichen erinnert, verklammert ›Die zweite Zigarette‹ mit anderen Stories des Bandes.
    Was failure betrifft, bilden ›Das mürrische Taubenpaar‹,
    ›Wer ist hier verrückt?‹ und ›Quitt‹
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