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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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goodwill, the shutting of the heart«, 22. November 1963).
    Neben die reine, wehrlose Mrs. Palmer tritt in der möglicherweise um dieselbe Zeit entstandenen Erzählung
    ›Nichts Auffallendes‹ eine andere, ebenso reine Seele. Und doch das völlige Gegenteil. Während die alte Dame in die Kissen sinkt und immer weniger wird, scheint Hélène Sacher-Hartmann im österreichischen Wintersportort zu expandieren und sich die ganze Welt zu Füßen zu legen.
    Der Eindruck täuscht alle, denen sie begegnet. Die gesunde, gesellige Hélène sucht mit einer Bestimmtheit, die man fast heiter nennen muß, den Tod.
    Auf ihrer großen Europareise, 1951 bis 1953, hatte Patricia Highsmith auch in München Station gemacht und dort eine Hélène (oder Helena) kennengelernt, deren Schönheit, Attraktivität und mütterliche Ausstrahlung sie am 10. Juli 1951 im Tagebuch beschrieb – »womanly health, fertility, affection, charm, humor, all of that!
    Christ!« Einiges spricht dafür, daß diese starke visuelle Erinnerung in die Figur der Erzählung eingegangen ist.
    Deren Wirkung, der sich niemand zu entziehen vermag, beruht darauf, daß sie ihrem Gegenüber den vollkommenen Spiegel bietet, ohne ihrerseits etwas für sich zu fordern.
    Diese Anspruchslosigkeit wirkt wie ein zauberkräftiges 359
    Parfüm. Die Hotelgäste, einer nach dem anderen, verlieben sich in Hélène.
    In Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt (1985) hat Patricia Highsmith diese Erzählung zur Illustration der Frage herangezogen, auf welche Weise man einen Stoff
    »emotional erfühlt«. Sie erklärt, es sei schwierig für sie gewesen, sich in das Bewußtsein einer Selbstmörderin zu versetzen, weil sie keine Erfahrung damit habe und selbst noch nie dem Selbstmord nahe gewesen sei. Dann folgt, bezogen auf die Erzählung, die lakonische Auskunft: »In diesem Fall machte ich es mir also leicht und gab keine Er-klärung für den Geisteszustand der Frau. (›Niemals er-klären und sich niemals entschuldigen^ hat ein englischer Diplomat einmal gesagt; und Baudelaire fand, das einzig Gute an einem Buch seien die nichtgegebenen Erklärungen.)« Tatsächlich geht die Rechnung auf: In den hier versammelten Erzählungen findet sich kein schlüssigerer Selbstmord als dieser, der einzige, der nicht erklärt oder begründet wird.
    Geübte Highsmith-Leser mögen sich über die Galerie extradeutscher Namen wundern, mit denen wir es in ›Nichts Auffallendes‹ zu tun haben: Hélène Sacher-Hartmann etwa oder Gert und Hedwig von Böchlein, die allesamt im Hotel Waldhaus in Alpenbach logieren. Doch die Schriftstellerin war nicht nur des Deutschen einigermaßen mächtig (sie hatte die Sprache aus Sympathie mit der Herkunft ihres Vaters in der Highschool gelernt), sie führte zeitweise sogar auf deutsch Tagebuch. Auf ihrer Europareise 1951 bis 1953
    schrieb sie eine weitere Erzählung, in der sie das deutsche Lokalkolorit mit ähnlich kräftigem Pinsel auftrug.
    360
    ›Die Heimkehren schildert das Zerbrechen einer Paar-beziehung über mehrere Jahre hinweg und mit nüchterner Aufmerksamkeit für beide Seiten, was im Werk von Patricia Highsmith sonst kaum vorkommt. Daneben ist die Er-zählung mit ihrem Nachkriegsflair und ihren wiederholten Anspielungen auf den deutschen Antisemitismus eines der seltenen Beispiele für historisch-politischen Zeitbezug. Die Tagebücher verraten, daß die Schriftstellerin im Dezember 1951 in München die jüdische Freundin einer Freundin kennenlernte, deren rascher finanzieller Aufstieg in der Nachkriegszeit offensichtlich das Modell für die Figur der Esther Friedmann in den ›Heimkehrern‹ abgab. Erst zehn Monate später, in einem Pariser Hotelzimmer, begann Patricia Highsmith mit der Niederschrift ihrer »German story«, die sie gut drei Wochen später, am 21. Oktober 1952, abschloß.
    Es ist bemerkenswert, wie oft das Wort failure in den Notizen und Plot-Entwürfen zu den Erzählungen auftaucht.
    Behält man die Idee des verpfuschten und gescheiterten Lebens im Kopf, dann lassen sich die meisten Geschichten des Bandes in dieselbe Richtung kämmen: Patricia Highsmith war eine skeptische Schriftstellerin, die dem Menschen das Böseste zutraute und seine Fähigkeiten zu Selbsterkenntnis und Selbstkorrektur gering einschätzte.
    Zwei oder drei von vierzehn Erzählungen des Bandes neigen sich allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Es sind unerwartete Tröster, die Ausnahmen von der Regel.
    Und dazu gehört ausgerechnet jene, die das Scheitern
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