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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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fragte Kyrogin ihn lächelnd durch eine Wolke von Zigarrenrauch.
    »Ach, ich hab nur geträumt. Das kommt von Ihrem guten Wodka«, sagte Jeff und stand auf, um sich zu verabschieden. Sie schüttelten sich freundschaftlich die Hand.
    Der Russe hatte einen kraftvollen Händedruck.
    Es war zwei Minuten vor zwölf. Jeff nahm sich vor Kyrogins Hotel ein Taxi und fuhr zurück ins Lutetia.
    Als er die Halle betrat, stand da wieder das Mädchen.
    Und neben ihr Phyl. Diesmal blieb er wirklich wie vom Blitz getroffen stehen. Phyl trug einen Hut. Sie stand mit Eileen etwas abseits vom Empfang, und sie war unver-kennbar böse, ja richtig wütend. Ihre Wangen brannten, während sie ihrer Tochter offenbar die Leviten las. Phyl wirkte kleiner als das Mädchen, kleiner, als er sie in Erinnerung hatte, aber dann merkte Jeff, daß es nur so aussah, weil sie fülliger geworden war. Phyl fuchtelte mit erhobener Faust in der Luft herum. Das Mädchen duckte sich kaum, wich keinen Schritt zurück. Was hatte Phyl ihr vor-zuwerfen? Vielleicht war ihr zu Ohren gekommen, daß ihre Tochter die Nacht in der Suite eines Mannes verbracht hatte. Das konnte sie vom Portier erfahren haben, oder vielleicht auch von dem Mädchen selbst.
    Plötzlich war sein Traum erloschen. Etwas ging entzwei, war tot. Alles war dahin. Phyl blickte in seine Richtung, nahm ihn aber in ihrer Erregung nicht wahr. Er dagegen sah, daß ihr Gesicht schwammig geworden war, daß ihr Haar, das sie jetzt kürzer trug, einen unschönen Rotstich hatte. Allein, das war es nicht, was ihn abstieß, sondern ihr wutverzerrtes Antlitz, dieses häßliche Mißtrauen und die 350
    Art, wie sie das Mädchen herunterputzte. Er war jetzt überzeugt, daß sie Eileen Vorhaltungen machte, weil sie die Nacht mit einem Fremden in dessen Hotelzimmer
    verbracht hatte, selbst wenn dabei »nichts passiert« war. Es war die gottverdammte Prüderie, die Scheinheiligkeit, dieses Das-schickt-sich-nicht-Getue, was ihn anwiderte, das selbstgerechte Gefasel davon, daß ein-Mädchen-auf-sich-halten-muß. Diese ganze Heuchelei empörte ihn, denn hatte Phyl es, als sie im Alter ihrer Tochter war, nicht genauso gemacht und sich eine Affäre mit einem anderen geleistet, der zufällig er, Jeff Cormack, gewesen war? Um sich dann nach ihrem kleinen Abenteuer anstandslos zu bekehren und in die Rolle der tugendhaften Ehefrau zu schlüpfen, die sie jetzt so gewichtig verkörperte?
    War das die Frau, die er all die Jahre geliebt hatte?
    Angenommen, er wäre heute mit Phyl verheiratet?
    Jeff fühlte sich sterbenselend. Doch es war kein Schwä-
    cheanfall, er war nicht wacklig auf den Beinen, sondern blieb im Gegenteil wie versteinert auf ein und demselben Fleck stehen, bis Phyl und Eileen auf den Fahrstuhl zu-steuerten, Phyl immer noch starr vor Zorn, das Mädchen aufbegehrend und rebellisch. Und Jeff erinnerte sich an das, was er letzte Nacht oben in seinem Zimmer gedacht hatte: Das Mädchen würde es halten wie Phyl, würde sich nicht mit einem begnügen, sondern sich nach ihm einen anderen suchen (vielleicht noch vor der Hochzeit), ihm erst den Kopf verdrehen und ihn dann fallenlassen, um sich standesgemäß zu verheiraten, vielleicht eine Tochter bekommen, sehr hübsch natürlich, die es genauso machen würde, und das würde dann ewig so weitergehen und sich 351
    endlos wiederholen.
    Hinter diesem Gedankengang lauerte ein zweiter, eine furchtbare Frage, die Jeff sich nicht zum erstenmal stellte: Wenn Phyl Guy betrogen hatte, als der noch nicht, aber doch beinahe schon ihr Mann gewesen war, hätte sie dann nicht irgendwann auch ihn betrogen, selbst wenn er sie geheiratet hätte? Wem Liebesschwüre nicht viel bedeuten, der würde es auch mit dem Ehegelübde nicht so ernst nehmen. Was hatte eigentlich Vorrang? Egal, eines hing mit dem anderen zusammen, und Mädchen wie Phyl fühlten sich auf Dauer an beides nicht gebunden. Für sie zählte am Ende nur der äußere Schein. Was Mädchen wie Phyl gemeinsam hatten, war eine gewisse Herzenskälte.
    Jeff war heilfroh, als die Fahrstuhltüren sich hinter den beiden schlössen.
    Er ging zum Empfang, holte seinen Koffer ab, legte die Rechnung vor und zahlte bar. Dann verließ er mit Reise-und Aktenkoffer das Hotel, schlug das Anerbieten des Portiers, ihm ein Taxi zu rufen, aus und machte sich zu Fuß auf den Weg. Ohne ersichtlichen Grund bog er an der ersten Ecke rechts ab. Sein Verstand arbeitete immerhin so klar, daß er erkannte, wie benommen er war und wie gleichgültig ihm
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