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Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders

Titel: Tom Thorne 06 - Die Geliebte des Mörders
Autoren: Mark Billingham
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    Man denkt an die Kinder.
    An nichts anderes. In dieser Situation, in dieser Lage . Wenn man nicht weiß, ob es an der Wut oder den Schmerzen liegt, dass man sich krümmt und nicht hinausbrüllen kann, was man sagen möchte.
    Man denkt nur an sie …
    »Warum, verdammt, warum, zum Teufel, erst jetzt? Warum erfahr ich das erst jetzt?«
    »Es war einfach nie der richtige Zeitpunkt. Es schien am besten, damit zu warten.«
    »Am besten?« Sie geht einen Schritt auf den Mann am anderen Ende ihres Wohnzimmers zu.
    Instinktiv weicht er zurück, bis seine Unterschenkel gegen die Sofakante drücken und er beinahe nach hinten auf die liebevoll drapierten Kissen fällt. »Immer mit der Ruhe«, sagt er.
    Der Raum riecht nach Potpourri. Der Teppich wurde erst vor kurzem gesaugt, die Streifen sind noch zu sehen. Und die alte Reiseuhr, die man zwischen dem Geschrei laut ticken hört, steht auf einem glänzend polierten Kaminsims.
    »Was soll ich jetzt machen?«, sagt sie. »Das würde ich gerne wissen.«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Ich hab doch gar keine Wahl!«
    »Wir müssen uns in Ruhe hinsetzen und darüber sprechen, was wir jetzt am besten machen …«
    »Allmächtiger. Da gehört was zu, einfach hier hereinzumarschieren und mir das zu erzählen. So nebenbei, wie etwas, das man vergessen hat. Hier herzukommen und mir das alles einfach so zu erzählen … Scheiße!«
    Wieder fängt sie an zu weinen, doch diesmal wischt sie sich die Tränen nicht aus dem Gesicht. Sie schließt die Augen und wartet, bis der Moment vorüber ist. Und die Wut zurückkehrt – nackt und grenzenlos.
    »Sarah …«
    Ein paar Sekunden lang ist nur das Ticken und der Verkehrslärm in der Ferne und der blecherne Klang des Küchenradios zu hören, das sie leise gestellt hatte, als es an der Tür klingelte. Die Zentralheizung läuft auf vollen Touren, doch es fällt noch genug Sonne durch die Gardinen am Fenster.
    »Es tut mir leid.«
    »Was, hab ich das richtig verstanden?« Aber sie hat ihn sehr wohl gehört. Sie lächelt, lacht sogar. Sie zerknüllt den Stoff ihres Kleides in der Faust, die sie unwillkürlich ballt. Etwas in ihrem Bauch verkrampft sich, sie spürt ein Ziehen im Oberschenkel. »Ich muss jetzt in die Schule.«
    »Den Kindern geht’s gut. Wirklich, meine Liebe. Denen geht’s wunderbar.«
    Sie wiederholt seinen letzten Satz, wieder und wieder. Flüstert ihn. Diesmal kann sie die Tränen nicht zurückhalten oder den Schrei, der sich ganz tief in ihr aufbaut. Sie kann nichts dagegen tun. Auch nichts gegen den Drang, durch das Zimmer auf den Mann zuzustürzen und ihm ins Gesicht zu schlagen, es ihm zu zerkratzen.
    Er hebt die Arme, um sich zu schützen. Er packt sie bei den Fingern, mit denen sie auf seine Augen einsticht. Er versucht, sie festzuhalten, sie wegzuführen.
    »Wozu die Aufregung?«
    »Gottverdammtes Arschloch.« Sie reißt den Kopf nach hinten.
    »Ich will doch nur sagen …« Ihre Spucke trifft ihn an der Oberlippe und läuft ihm in den Mund. Er brüllt ihr ins Gesicht. Ein Wort, das er selten benutzt.
    Und er schubst sie …
    Und dann fällt sie nach hinten wie ein Sack, reißt den Mund auf, um zu schreien, und kracht durch die Glasplatte des Couchtisches.
    Ein paar Sekunden lang ist das Ticken zu hören. Und der Verkehr. Und das Summen aus der Küche.
    Der Mann tritt auf sie zu und erstarrt. Er erkennt auf einen Blick, was geschehen ist.
    Der Rücken tut ihr weh, und der Knöchel, der gegen die Tischkante stieß, als sie stürzte. Sie versucht, sich aufzusetzen, aber ihr Kopf ist plötzlich so schwer wie eine Abrissbirne. Sie röchelt, reibt mit den Schultern die Glassplitter in den Teppich unter ihr. Nach Luft ringend liegt sie auf den blitzenden Scherben und Splittern. Sie erkennt einen Song aus dem Radio und spürt im gleichen Moment etwas Warmes und Nasses am Hinterkopf. Sie spürt es vom Hals über den Nacken in den Pulli fließen.
    Scherbe …
    Ein, zwei Sekunden denkt sie über dieses Wort nach. Wie dumm dieses Wort klingt, wenn man es sich wieder und wieder sagt. Und über ihr Pech, ihr Scheißpech. Muss eine Arterie erwischt haben oder zwei. Zwar hört sie ihren Namen, hört die Verzweiflung, die Panik in der Stimme, aber die Kraft weicht bereits aus ihr, und sie konzentriert sich mit der ihr noch verbleibenden Kraft auf die Gesichter ihrer Kinder.
    Auf nichts anderes.
    Als das Leben aus ihr strömt – schnell und rot über die Rauchglasscherben ist ihr letzter klarer Gedanke einfach und zärtlich und
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