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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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eingeschlafen.
    Als er am nächsten Morgen vom Klingeln des Telefons geweckt wurde, stand das Mädchen schon fertig angezogen vor dem Spiegel im Salon und schminkte sich. Jeff bestellte Frühstück für zwei Personen.
    »Wann erwarten Sie Ihre Mutter?« fragte er.
    »Oh … Ihre Maschine landet um zehn, glaube ich.«
    Jeff war erleichtert. Er würde seinen Koffer packen, seine Rechnung begleichen und – hoffentlich – den Groß-
    teil des Vormittags mit Kyrogin verbringen. Und Phyl würde noch nicht gleich, ja nicht einmal in der kommenden Stunde im Hotel eintreffen. Jeff war noch bei der ersten Tasse Kaffee, als er Kyrogin anrief. Zu seiner Überraschung meldete der sich nicht nur prompt, sondern klang auch hellwach.
    »Schön, Mr. Cormack! Ich erwarte Sie!«
    Jeff packte in aller Eile seine Sachen, und als er den Koffer zumachte, sagte er zu dem Mädchen: »Wenn Sie wollen, können Sie gern bis Mittag hier bleiben, aber ich werde mich jetzt unten abmelden, denn –«
    »Viel Glück mit dem Russen!« unterbrach ihn Eileen, die an dem ovalen Tisch im Salon saß und frühstückte.
    Jeff lächelte zuversichtlich. »Danke, Eileen. Ich hab ein gutes Gefühl. Ich glaube, Sie haben mir Glück gebracht.
    Aber jetzt muß ich mich verabschieden, ich bin spät dran.«
    Sie hatte sich eine Zigarette angezündet, und nun stand sie auf. »Auf Wiedersehen und danke für die Gastfreundschaft.«
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    »Nichts zu danken. Ich wünsche Ihnen alles Gute!
    Wiedersehen, Eileen.« Jeff nahm seinen Koffer und die Aktentasche und ging.
    Er deponierte den Koffer unten beim Portier, ließ sich die Rechnung geben und sagte, er würde sie nachher begleichen, wenn er seinen Koffer abholen käme. Jetzt wollte er so schnell wie möglich zu Kyrogin. Er nahm ein Taxi zum Hotel Intercontinental. Es war nur eine kurze Fahrt.
    Kyrogin empfing Jeff auf seinem Zimmer. Er trug einen seidenen Morgenmantel, auf dem Tisch standen ein abge-gessenes Frühstückstablett und eine halbleere Wodkafla-sche. Sie bestellten frischen Kaffee. Kyrogin goß einen Schluck Wodka in seine Tasse. Das Telefon klingelte, und Kyrogin erklärte jemandem auf englisch, es tue ihm leid, aber er sei im Augenblick sehr beschäftigt. In weniger als einer halben Stunde hatte Jeff Kyrogins mündliche Zusage.
    Er wandte seine bewährte Überredungstaktik an, sprach zunächst von den Hindernissen und den Auslagen, taxierte dann den Zeit- und Kostenaufwand, den eine andere Firma im Vergleich zu Ander-Mack veranschlagen würde, und überließ endlich dem Verhandlungspartner die Entscheidung – wobei er sich vorerst mit einer mündlichen Absprache begnügte, damit Kyrogin sich nicht unter Druck gesetzt fühlte. Jeff hatte sechs Kopien seines Vertragsentwurfs dabei und überließ Kyrogin vier, die der als Information für seine Kollegen verlangt hatte.
    »Vielleicht trinken Sie jetzt einen Wodka mit?« fragte Kyrogin.
    »Da sag ich nicht nein! Wo ich mit so guten Nachrichten nach New York zurückkehren kann.«
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    »Erzählen Sie's denen doch gleich! Rufen Sie an«, sagte Kyrogin und wies mit einer Handbewegung zum Telefon.
    »Das tat ich schon gern. Wenn's Ihnen wirklich nichts ausmacht?« Jeff ging bereits auf das Telefon zu. Kyrogin hatte augenscheinlich nichts dagegen. Jeff nannte der Telefonistin eine New Yorker Nummer, Ed Simmons' Privat-anschluß. In New York war es jetzt fünf Uhr früh, aber von einer Erfolgsmeldung, wie Jeff sie anzubieten hatte, würde Ed sich gern wecken lassen. Die Telefonistin sagte erst, sie würde ihn zurückrufen, doch dann hieß es, nein, sie sei gleich durchgekommen, und Jeff konnte hören, wie bei Ed das Telefon klingelte.
    Ed meldete sich verschlafen, aber als er Jeffs Stimme erkannte, war er sofort hellwach.
    »Hier ist alles glattgegangen«, sagte Jeff.
    »Dann haben wir den Auftrag?«
    »Ja, wir haben ihn. Bis bald, alter Junge.« Und Jeff legte auf.
    Kyrogin spendierte ihm eine ausgezeichnete Zigarre. Es war wie in alten Zeiten, dachte Jeff, als ob er wieder dreiundzwanzig wäre und gerade einen phänomenalen Abschluß getätigt hätte (oder was er damals dafür hielt) und nun heimgehen würde zu Phyl – Phyl, die irgendwo auf ihn wartete. Es lag an dem Mädchen, an Eileen, daß er sich Phyl jetzt so nahe fühlte, Phyl mit dem Zwinkern in den Augen und ihrem Stolz auf seinen Sieg, einem Stolz, der einen beflügelte wie das Hurrageschrei eines ganzen Footballstadions. Und mit jedem neuen Sieg war er ihr nähergekommen.
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    »Woran denken Sie?«
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