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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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Schultern getragen.
    Dieser Augenblick ist entscheidend. Denn es geht weniger um poetische Gerechtigkeit im konventionellen Sinn und durchaus nicht um die Frage, ob Hazlewood die Liebe seiner Frau, die Freundschaft und Anerkennung seiner Nachbarn nicht tatsächlich »verdient« habe. Natürlich hat er sie verdient. Aber haben nicht auch andere Highsmith-Figuren mehr verdient, als sie bekommen? Und wenn ja, warum führt ihr Weg dann so oft bergab?
    Der Punkt, an dem Patricia Highsmith der Hazlewood-Story eine Wendung gibt, ist heikles Gelände für sie. Denn hier, in diesem Augenblick, müssen Lesererwartungen be-364
    friedigt oder enttäuscht, Genre-Konventionen erfüllt oder durchbrochen, Sinnangebote gemacht oder verweigert werden. In diesem Fall entscheidet die Autorin sich für ein Finale, das an ein Märchen erinnert: Der gewaltige materielle Verlust zählt nicht mehr, er ist nichts gegen die Selbst-besinnung, die der Held durchlaufen hat. Und die Frau, deren Mann soeben achtzigtausend Dollar versenkt hat, nennt sich so glücklich wie nie zuvor. Irgend etwas im Leben des Winthrop Hazlewood, so scheint es, hat sich erfüllt.
    Einige Erzählungen des vorliegenden Bandes laufen in vergleichbarer Weise auf ein Entweder-oder zu, tatsächlich lassen sie sich ebenso leicht mit gutem wie mit bösem Ausgang denken. Zum Beispiel ›Ein Spatz in der Hand‹, eine undatierte Erzählung, auf die sich weder im Notizbuch noch im Tagebuch ein Hinweis findet. Der friedliche, harmlose Douglas McKenny bessert mit systematischer Schwindelei seine kargen Finanzen auf. Als ihm ein Reporter auf die Schliche kommt, droht seine Existenz vernichtet zu werden.
    Doch Patricia Highsmith deutet auch hier an, daß es sich um eine Lehrerzählung handeln könnte. McKenny macht Menschen, denen ihr Wellensittich entflogen ist, wieder glücklich, indem er ihnen einen neuen bringt, den sie für den entflogenen halten sollen. Daß er dafür saftige Belohnungen kassiert, fällt kaum ins Gewicht. Denn McKenny ist außerdem freundlich zu seinen Nachbarn, ein Philanthrop der kleinen Geste. ›Ein Spatz in der Hand‹ erweist sich somit als didaktische Geschichte: Die Anständigkeit des Mannes – seine Tierliebe nicht zu vergessen – übersteigt bei weitem die Bedeutung seiner Schwindeleien.
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    Auch eine dritte Geschichte, ›Des Menschen bester Freunds geschrieben im Juli 1952, läßt den Helden davon-kommen und ein stilles, entsagungsvolles Glück finden.
    Man darf sich von dem Umstand, daß es sich hier um eine von drei Tiergeschichten des Bandes handelt, nicht täuschen lassen: Worauf es in der farcenhaften Erzählung des abgewiesenen Liebhabers, den sein Schäferhund Baldur auf den Pfad von Ordnung und Disziplin zurückführt, vor allem ankommt, ist das wiedergewonnene Leben im Gegensatz zum verpfuschten. Klarer als andere Stories erlaubt ›Des Menschen bester Freund‹, die Erzählapparatur von Patricia Highsmith bei der Arbeit zu sehen. Im Notizbuch hält die Autorin bei zwei Gelegenheiten fest, der Held, Dr. Fenton, in die Enge getrieben von seinem unerträglich anständigen Hund, begehe am Ende Selbstmord, um das Joch seiner absurden moralischen Knecht-schaft abzuschütteln. In der tatsächlich geschriebenen Version bleibt es jedoch bei zwei Selbstmordversuchen, die der Hund vereitelt. (Auch Douglas McKenny in ›Der Spatz in der Hand‹ erwägt, sich das Leben zu nehmen, bevor er die Idee als unehrenhaft verwirft.) Gleichsam in letzter Sekunde verschiebt die Autorin das Motiv des Scheiterns von einer Figur auf die andere: Statt mit der Verzweiflung des Dr. Fenton endet die Erzählung mit dem erschrecken-den Altern, der unappetitlichen Vulgarisierung jener Frau, in die der Arzt vormals so unglücklich verliebt war.
    Bei dem Hin und Her zwischen Selbsterhaltung und Selbstmord, zwischen Rettung und Vernichtung geht es für Patricia Highsmith ums Ganze, nicht um beliebig ein-setzbare erzählerische Bauelemente und schon gar nicht 366
    um Leichtigkeit oder Frivolität planerischen Kalküls. Dieser existentielle Ernst erklärt aber nicht jeden Schluß zu einem gelungenen; mancher ist eben nur dies: tiefernst und bleischwer. Um es statistisch zu sagen, von den vierzehn hier versammelten Erzählungen wird in genau sieben der Selbstmord erwogen und in fünf Erzählungen auch ausgeführt.
    Wer sich allerdings mit der Ziffer zufriedengibt und nicht nach Sinn und Funktion dieser Selbstmorde fragt, läuft Gefahr, Entscheidendes zu übersehen. Das gilt
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