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Wie Feuer im Regen

Wie Feuer im Regen

Titel: Wie Feuer im Regen
Autoren: Sophie Oliver
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    Schuppenfries.
    So nannte man es wohl, das Band, welches dicht unter der Decke rings um den ganzen Raum lief.
    Anne überlegte, woher sie den Ausdruck kannte, aber es fiel ihr nicht ein.
    Drei Reihen von Halbkreisen lagen dicht übereinander, wie die Schuppen eines Fisches.
    Die Verzierung bestand aus weißem Gips und hob sich frisch und sauber von der Wand in gedecktem Grün ab.
    „Farngrün“, dachte Anne, „Pistaziengrün, Cremegrün, Blassgrün, Porzellangrün…“
    Weil ihr keine anderen Begriffe für Grünschattierungen einfielen, ließ ihre Konzentration nach und der schwere Körper des Mannes wurde ihr wieder mehr bewusst.
    Das Kratzen seiner drahtigen Brusthaare auf ihrer Haut, sein Atem, der nach Wein roch, säuerlich wie sein Schweiß, sein alter, aufgedunsener Körper, seine Bewegungen, die sie auf sich und in sich spürte.
    Rasch zog sich wieder in ihr Gehirn zurück und beschäftigte sich weiter mit dem Schuppenfries. Das würde ihre Gedanken mehr in Anspruch nehmen als die grüne Wand.
    Es war ein Stilelement der Romanik, ähnlich wie das Rundbogenfries. Ein schmaler Streifen aus Gips. Nur Dekoration.
    War das Schlafzimmer auch aus romanischer Zeit?
    Anne runzelte die Stirn, die Augen starr auf das Fries gerichtet, seitlich am Kopf des Mannes vorbei. Durch seine Bewegungen schoben sich ab und an ein paar graue Haarsträhnen in ihr Blickfeld, deshalb drehte sie das Gesicht noch etwas weiter zur Seite.
    Wann war nochmal die Romanik?
    So um elfhundert, zwölfhundert?
    Auf keinen Fall war das Schlafzimmer original. Der Landsitz des Earls von Breckon, Poffy, wie sie ihn nennen sollte, war zwar alt, aber nicht so alt.
    Poffy stöhnte nun lauter und Anne suchte verzweifelt in ihren Gedanken nach Ablenkung.
    Romanik, Romanik, was gab es da noch?
    Sakralbauten! Kirchen! Kathedralen! Sie könnte Städte aufzählen, in denen es Kathedralen gab!
    Speyer, Paris, Metz…
    Als sie bei der Kathedrale von Reims angekommen war, ging ein Zucken durch den Körper des Mannes und mit einem letzten befriedigten Grunzen sank er erschöpft auf sie.
    Sein Schweiß auf ihrer Haut machte schmatzende Geräusche während sie versuchte sich unter ihm heraus zu winden und Anne musste an sich halten, um nicht laut loszuschreien.
    Wenigstens war es überstanden.
    Sie musste ihre gesamte Willenskraft aufbringen um ihn anzulächeln, während sie wieder in ihre Schuluniform schlüpfte. Auf keinen Fall durfte er den Ekel in ihren Augen sehen, dann wäre alles verloren.
    „Das war sehr schön, Poffy“, log sie und hasste sich selbst dafür.
    Mit schwitziger Hand tätschelte er väterlich ihren Kopf, „Das war es, mein Engel, das war es. Leider können wir uns nächste Woche nicht sehen. Meine Frau besteht darauf, dass ich mit zu dieser öden Jagdgesellschaft fahre.“
    Er tat gerne so, als ob Anne wusste wovon er sprach. Als ob sie seine Vertraute wäre. In Wirklichkeit stellte sie nie Fragen. Nicht weil sie besonders diskret gewesen wäre – sie wollte einfach keine Details aus seinem Leben wissen. Es interessierte sie nicht, welche Schlösser, Ländereien und Wohnsitze er besaß, wie er seine Freizeit verbrachte und am allerwenigsten wollte sie etwas über seine Familie hören.
    Der Gedanke, dass Poffy seine Frau mit ihr betrog, einem Mädchen, wahrscheinlich jünger als seine Kinder, trieb Anne Tränen der Scham in die Augen.
    Sie drehte sich rasch weg und begann ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zu binden. Währenddessen ging sie im Kopf die Noten von Chopins Grande Valse durch. Sie stellte sich die Klaviertastatur vor und dachte an die fröhliche Melodie. Das half ihr, sich schnell wieder unter Kontrolle zu bekommen.
    Was hatte er gerade gesagt? Hatte sie wirklich eine Woche ohne seine klebrigen Hände vor sich?
    Anne jubelte innerlich. „Wie schade. Naja, da kann man nichts machen. Aber am Mittwoch läuft die Frist für das nächste Halbjahr aus…“
    „ Dein Schulgeld habe ich selbstverständlich anweisen lassen, das ist längst erledigt, meine Liebe.“ Er lag noch immer nackt auf dem Bett und rollte nun auf seinen ausladenden Bauch. „Wer mit so vollem Körpereinsatz seine Ziele verfolgt, soll schließlich nicht enttäuscht werden. Du kannst dich dann übernächste Woche bei mir dafür erkenntlich zeigen.“
    Sein lüsternes Grinsen ließ Übelkeit in Anne aufsteigen. „Das mache ich doch gerne, Poffy“, sagte sie zum Abschied, bevor sie das Zimmer verließ um zurück zur Schule zu gehen.

    Egal wie lange
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