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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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im Titel trägt, ›Born Failure‹ (›Zum Versager geboren^.
    Patricia Highsmith kommt in der 1953 geschriebenen 361
    Erzählung, was für sie ungewöhnlich ist, der Parabel sehr nahe. Winthrop Hazlewood, ein kleiner Einzelhändler in der Provinz, hat es in seinem Leben zu wenig gebracht. Für seine mageren Einkünfte schuftet er bis tief in die Nacht, sein nichtsnutziger Bruder bestiehlt ihn, alle Geschäftsprojekte versanden, und seine Ware verdirbt im feuchten Keller. Da erbt er hunderttausend Dollar, von denen ihm achtzigtausend bleiben, er muß sie nur beim Anwalt in New York abholen. Auf der Fähre, die ihn nach Hause zurückbringen soll, das Geld in der Aktentasche verstaut, denkt Winthrop Hazlewood über sein Leben nach.
    Die Stationen ziehen an ihm vorüber, allesamt gezeichnet von Unkenntnis, Tolpatschigkeit und Pech, und es scheint ihm, als liege der einzige Erfolg seines Lebens darin, Mißerfolge wie mit der Wünschelrute aufzuspüren. Der kleine Händler, der es zu nichts gebracht hat – allerdings führt er eine glückliche Ehe, und seine Rose beklagt sich nicht –, dieser Winthrop Hazlewood erkennt im Scheitern das Muster seiner Existenz, gewissermaßen den angemes-senen Ausdruck seiner Persönlichkeit. Diese Überlegung verwandelt das in der Aktentasche verstaute Geld in etwas Unanständiges: »Er verdiente es nicht.« Und während er an den neuen Reichtum denkt und an die Möglichkeiten, die er und Rose nun haben werden, kommen ihm die Tränen, und indem er zum Taschentuch greift, schubst er versehentlich die Aktentasche über Bord, die mit einem leisen »Plopp!« ins Wasser fällt und versinkt.
    Die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende, aber es empfiehlt sich, kurz innezuhalten. Denn man darf nicht auf den Ausgang starren, wenn man die Konturen des Motivs 362
    deutlich erkennen will. Und dieses Motiv beschäftigt die 1921 geborene Patricia Highsmith seit ihren frühesten Aufzeichnungen. Undatierte Sätze in ihrem zweiten Notizbuch, das sie von November 1939 bis Juli 1940 führt, sprechen von einer Romanidee, nämlich der »Geschichte eines Scheiterns«. Versagen, so die junge Schreiberin, komme »notwendigerweise« häufiger vor als Erfolg. Dann der Satz: »A good man thoughtful, sensitive, eternally optimistic at last sees himself honestly after middle age.«
    Das ist, in einer Nußschale, das Porträt Winthrop Hazlewoods, der zur Selbsterkenntnis fähig ist und die Bedingungen seiner Existenz ohne Selbsttäuschung und Schönfärberei bilanziert.
    Damit ist nicht gesagt, die frühen Überlegungen der Autorin seien zwangsläufig auf eine schmale Erzählung zugelaufen, die sie erst zwölf Jahre darauf zu Papier brachte. Sondern eher, daß die Story ›Zum Versager geboren‹ ein spätes Produkt ein und derselben Fixierung ist. Der eigentliche Plan, nämlich einen Roman über einen gescheiterten Künstler zu schreiben, wurde nicht verwirk-licht. Am 14. September 1940 ärgert sich Patricia Highsmith im Notizbuch über die »Vagheit« ihrer Prosa, sobald sie von der Konzeption zum Ausformulieren übergehen möchte. Sie erkennt auch das Problem: Da sie selbst noch jung ist und jede Darstellung eines Künstlers auf die eine oder andere Weise ein Selbstporträt birgt, kann sie sich einen alternden, zurückblickenden Künstler einfach nicht vorstellen. Am 19. September 1940 verabschiedet sie die Künstlerfigur (»zu schwach und vage«) endgültig und hält fest, daß sie ihre Figuren dem wirklichen Leben ab-363
    schauen muß. Schon mit neunzehn Jahren weiß die Er-zählerin um die Spannung zwischen reiner Erfindung und der Umwandlung des tatsächlich Erlebten. In derselben Aufzeichnung zitiert sie ihre Professorin am Barnard College, Ethel Sturtevant, mit dem Satz, die Fähigkeit zur ab-strakten Hervorbringung literarischer Figuren komme erst
    »mit der Erfahrung«. (Neun Jahre später, bei der Revision des Romans Zwei Fremde im Zug, wird sie von den Ratschlägen der klugen Miss Sturtevant abermals profitieren.)
    Wie auch immer Patricia Highsmith die Erfahrung gewonnen hat – zumindest der ehrgeizlose Stiefvater stand ihr als trauriges Exempel schon früh vor Augen –, mit zweiunddreißig Jahren schreibt sie eine Erzählung über den Versager Winthrop Hazlewood, schildert mit Genauigkeit und Ökonomie dessen Fährnisse – und dreht sein Schicksal plötzlich himmelwärts, statt es mit Tempo in den Abgrund rauschen zu lassen. Statt verhöhnt und geächtet zu werden, wird Hazlewood gefeiert und auf
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