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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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seine Hand das Messer umspannt.
    »Was ist los?« rief er überlaut.
    Die Tische waren gedeckt. Am Selbstbedienungsbüfett, wo sonst Töpfe mit Suppen und Saucen standen und Körbe mit Gebäck, kleine Schüsseln mit Brotwürfeln und große mit Salaten, da stand gar nichts. Eine Reihe von großen, mit weißen Tüchern bedeckten Tischen.
    In der Küche entdeckte er in einem Regal einen angeschnittenen Laib Brot. Es war hart, aber noch zu beißen. Ein paar Aufstriche fand er in einem Kühlschrank. Vor sich auf den gefliesten Boden starrend, stillte er im Stehen seinen Hunger. Zurück im Restaurant, machte er sich an der Espressomaschine einen Kaffee. Der erste schmeckte bitter. Er ließ einen zweiten durchrinnen, der nicht besser war. Erst den vierten stellte er auf die Untertasse.
    Er setzte sich auf die Terrasse. Die Sonne stach. Er spannte einen Schirm über seinen Tisch. Auch an den Tischen draußen fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Ein Aschenbecher stand da, die Eiskarte, die Speisekarte, Salz- und Pfefferstreuer, Zahnstocher. Genau so hätte es ausgesehen, wenn er vor ein paar Tagen hier vorbeigekommen wäre.
    Er schaute sich um. Niemand war da.
    Nachdem er eine Weile auf das graue Band der Autobahn gestarrt hatte, fiel ihm ein, daß er hier schon einmal gesessen hatte. Mit Marie. Sogar am gleichen Tisch. Er erkannte es am Blickwinkel, der ihm erlaubte, einen kleinen, recht versteckten Gemüsegarten einzusehen, an den er sich erinnerte. Sie waren unterwegs zu ihrem Urlaubsort in Frankreich gewesen. Hier hatten sie gefrühstückt.
    Er sprang auf. Vielleicht stimmte etwas mit den Telefonen in Wien nicht. Vielleicht konnte man von hier aus jemanden erreichen.
    Ein Telefon fand er an der Kasse. Mittlerweile wußte er die Nummer von Maries englischen Verwandten auswendig. Dasselbe ungewohnte Freizeichen im Hörer.
    Auch in Wien hob niemand ab. Nicht bei Werner, nicht im Büro, nicht bei seinem Vater.
    Er nahm ein Dutzend Ansichtskarten von einem Ständer. Briefmarken entdeckte er in einer Mappe, die in einer Schublade unter der Kasse lag. Er schrieb seine eigene Adresse auf eine Karte.
    Die Nachricht lautete: Raststation Großram, 6 . Juli .
    Er klebte eine Marke auf. Neben dem Eingang befand sich ein Briefkasten. Ein kleines Schild verriet, der Kasten werde um 15 Uhr geleert. An welchem Tag, stand nicht da. Trotzdem warf er die Karte ein. Die übrigen und die dazugehörigen Marken nahm er mit.
    Als er das Auto aufsperren wollte, fiel ihm ein in der Nähe abgestellter Sportwagen auf. Er lief hin. Natürlich steckte kein Schlüssel.
    An der nächsten Ausfahrt fuhr er von der Autobahn ab. Er hielt in der ersten Ortschaft vor dem erstbesten Haus. Er läutete, klopfte.
    »Hallo? Hallo!«
    Die Tür war nicht abgeschlossen.
    »Jemand da? He! Hallo!«
    Er kontrollierte alle Räume. Kein Mensch, kein Hund, kein Kanarienvogel. Nicht einmal ein Insekt.
    Er fuhr so lange hupend durch den Ort, bis er das Geräusch nicht mehr ertragen konnte. Dann durchsuchte er das Dorfgasthaus. Nichts.
    Die Orte, durch die ihn der Zufall in den nächsten Stunden führte, lagen abseits der Hauptstraßen, bestanden nur aus ein paar verfallenen Häusern, so daß er sich fragte, ob hier zuletzt überhaupt jemand gewohnt hatte. Eine Apotheke gab es nirgends. Ein Autohaus schon gar nicht. Er bereute es, nicht in der Nähe einer größeren Stadt von der Autobahn abgefahren zu sein. Und wie es aussah, hatte er sich sogar verirrt.
    Nach alter Gewohnheit fuhr er rechts ran. Es dauerte eine Weile, bis er sich auf der Straßenkarte zurechtfand. Es hatte ihn in den Dunkelsteiner Wald verschlagen. Zur nächsten Autobahnauffahrt waren es mehr als zwanzig Minuten. Dorthin wollte er, denn dort ging es schneller voran. Aber nun war er müde.
    Im nächsten Ort, in dem es wenigstens einen Lebensmittelladen gab, steuerte er das Haus mit der teuersten Fassade an. Es war abgeschlossen. Sein Zangenarm leistete ihm an einem Fenster wieder gute Dienste. Jonas kletterte hinein.
    In der Küche fand er eine Schachtel Aspirin. Während sich eine Tablette geräuschvoll in einem Glas Wasser auflöste, durchstöberte er das Haus. Gediegen eingerichtet, mit Möbeln aus dunklem Vollholz. Einige Stücke erkannte er. Sie gehörten der schwedischen 99er-Serie an, mit der er selbst eine Saison lang gute Geschäfte gemacht hatte. An den Wänden hingen Geweihe. Den Boden hatte man mit jenen dicken Teppichen ausgelegt, die sie im Büro als Milbenspeck bezeichneten. Auch von ihnen
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