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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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dem Planeten geherrscht haben.
    Immer langsamer fiel er. Sein Körper schien ein Teil dessen zu sein, was noch vor ihm lag, so wie er ein Teil des Augenblicks wurde und wie das Brausen in ihm und um ihn zu ihm gehörte.
    Himmel und Hölle, hatte man gesagt. Den Himmel den Guten, die Hölle für die Schlechten. Es stimmte, auf der Erde gab es Gutes und Böses. Vielleicht hatten sie recht, vielleicht gab es den Himmel und die Hölle. Doch man mußte nirgends Harfe spielen, und man wurde nicht von Gehörnten in Kesseln gebraten. Himmel und Hölle, so hatte er es verstanden, waren subjektive Ausdrucksformen des vergangenen Ichs. Jemand, der mit sich und der Welt im reinen war, würde sich wohler fühlen. Würde Frieden finden. In der langen, langen Sekunde. Das war himmlisch. Jemand, der von unreinem Geist war, würde sich selbst verbrennen. Das war die Hölle.
    Von hier oben sah er alles so klar.
    Glück, das war ein Sommertag in der Kindheit, an dem die Erwachsenen im Fernsehen Fußballweltmeisterschaft schauten und an dem im Schwimmbad Reifen ausgegeben wurden. An dem es heiß war und es Eis und Limonade gab. Laute Schreie. Lachen.
    Glück, das war ein Tag im Winter, an dem man in der Schule sein sollte, an dem man jedoch mit den Eltern im Nachtzug in Italien saß. Schnee und Nebel und ein imposanter Bahnhof, ein Zugabteil und ein Comic-Heft. Draußen Kälte. Drinnen warm.
    Er sah einen Spiegel auf sich zufliegen. Er sah sich. Er ging in sich hinein.
    Er sah die eingewickelte Sezession. Den Donauturm. Das Riesenrad. Er sah das Bett auf dem Heldenplatz, winzig klein. Er sah die Skulptur aus Fernsehern im Belvederegarten, kaum noch zu erkennen.
    Glück, das war auch, als kleines Kind im Kinderwagen umhergeschoben zu werden. Den Erwachsenen zuzusehen, ihren Stimmen zu lauschen, viele neue Dinge zu bestaunen, begrüßt und angelächelt zu werden von fremden Gesichtern. Dazusitzen und zugleich zu fahren, etwas Süßes in der Hand, und die Beine von der Sonne gewärmt zu bekommen. Und vielleicht einem anderen Kinderwagen zu begegnen, dem Mädchen mit Locken, und aneinander vorbeigeschoben zu werden und sich zuzuwinken und zu wissen, das ist sie, das ist sie, das ist die, die man lieben wird.

Über den Autor
    Thomas Glavinic wurde 1972 in Graz geboren. 1998 erschien sein Debüt Carl Haffners Liebe zum Unentschieden . Es folgten u. a. Die Arbeit der Nacht (2006), Das bin doch ich (2007) und Das Leben der Wünsche (2009). Seine Romane Der Kameramörder (2001) und Wie man leben soll (2004) wurden fürs Kino verfilmt. Thomas Glavinic erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt den Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Seine Romane sind in 18 Sprachen übersetzt. Er lebt in Wien.
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