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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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erkannte er einige. Nichts Billiges, aber auch nichts Geschmackvolles. Kinderspielzeug lag herum.
    Er schlenderte wieder in die Küche. Trank sein Aspirin.
    Zurück im Wohnzimmer, schloß er die Augen. Aus der Küche drang matt das Ticken einer Uhr. Im Kamin knisterte herabrasselnder Ruß, den der Wind aus den Ritzen trieb. Es roch nach Staub, nach Holz, nach nassem Stoff.
    Die Treppe, die zum Obergeschoß führte, knarrte. Im ersten Stock lagen die Schlafzimmer. Das erste war offenkundig das eines Kindes. Hinter der zweiten Tür entdeckte er ein Doppelbett.
    Er zögerte. Doch er war so müde, daß ihm die Augen zufielen. Einem Impuls folgend, streifte er alle Kleider ab. Er zog die schweren dunklen Vorhänge zu, bis nur noch eine Nachttischlampe das Zimmer schwach erhellte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Tür abgeschlossen war, legte er sich aufs Bett. Das Laken war weich, die Decke aus überraschend feinem Stoff. Unter anderen Umständen hätte er sich wohl gefühlt.
    Er knipste die Lampe aus.
    Am Kopfende des Bettes tickte fast unhörbar ein Wecker. Das Kissen roch nach einem Menschen, dem Jonas nie begegnet war. Über ihm fuhr der Wind durch den Dachstuhl. Der Klang des Weckers war sonderbar heimelig.
    Es ging hinab ins Dunkel.
    Er fühlte sich weniger benommen als zuvor. Als er sich aufsetzte, fiel sein Blick auf goldgerahmte Fotos, die in einer Vitrine standen. Wie ein Schlafwandler, ein Taschentuch unter die laufende Nase gepreßt, tappte er hin.
    Das erste zeigte eine Frau um die Vierzig. Obwohl sie nicht lächelte, spielte ein heiterer Zug um ihre Augen. Sie wirkte nicht wie jemand, der in einem Haus wie diesem wohnte.
    Einige Zeit überlegte er, was sie von Beruf war. Sekretärin? Angestellte? Oder gehörte ihr eine Boutique in einem der größeren Orte in der Nähe?
    Auf dem nächsten Foto der Mann. Etwas älter. Ergrauender Schnauzer, stechend dunkle Augen. Er sah aus wie jemand, der den ganzen Tag von Berufs wegen mit einem Geländewagen unterwegs war.
    Zwei Kinder. Blond. Acht oder neun das erste, das zweite ein paar Monate alt. Beide sahen einfältig aus.
    Das Bild der Frau verfolgte ihn bis zum Autobahnzubringer. Noch als er kurz vor Linz an den Knöpfen des Radios drehte, dachte er zuweilen an das Haus. Dann konzentrierte er sich, um nicht die Ausfahrt zu verpassen.
    Von weitem machte er die riesigen Fabrikschlote aus. Aus ihnen stieg kein Rauch empor.
    Ohne auf die Geschwindigkeitsbeschränkung zu achten, fuhr er in die Stadt. Er wünschte sich, von einem Polizisten gestoppt zu werden. Aber sofort war er sich gewiß, daß auch hier etwas nicht stimmte.
    Es gab keine Fußgänger.
    Die Geschäfte rechts und links der Straße waren menschenleer.
    Ampeln sprangen auf Rot, doch auf den Querverkehr wartete er vergebens.
    Er hupte. Er ließ den Motor aufheulen. Trat auf die Bremse, daß die Reifen quietschten und Gummigestank aufstieg. Er hupte dreimal lang, dreimal kurz, dreimal lang. Mehrmals fuhr er dieselben Straßenzüge ab. Keine Tür öffnete sich, kein Auto kam ihm entgegen. Dafür roch es weniger unangenehm als bei seinem letzten Besuch in der Stadt. Gewitterdunst lag in der Luft.
    Als er vor einer Apotheke ausstieg, fragte er sich, wieso es so ungewöhnlich kühl war. Seit Wochen hatte er unter der Hitze gelitten, nun fröstelte ihn. Aber vermutlich war daran nicht das aufziehende Gewitter schuld, sondern die Erkältung.
    Er schlug die Glastür zur Apotheke ein. Aus dem Regal nahm er eine Packung Aspirin, dazu noch Pastillen gegen Halsschmerzen. Auf dem Weg nach draußen entdeckte er den Vorrat an Echinacin. Ein Fläschchen steckte er ein.
    Nach kurzem Suchen fand er ein Gasthaus, dessen Tür unversperrt war. Er rief. Antwort bekam er nicht, hatte er auch nicht erwartet.
    Im Gastzimmer fiel ihm nichts Besonderes auf. Es roch nach altem Fett, nach Dunst, nach kaltem Rauch.
    Noch einmal rief er.
    In der Küche stellte er einen Topf mit Wasser auf und warf die Kartoffeln hinein. Die Wartezeit überbrückte er im Gastzimmer mit der Zeitung vom 3. Juli. An diesem Tag waren noch Menschen hiergewesen, das bewiesen Sauceflecken und Brotkrümel auf dem Papier. Die Zeitung selbst war genauso unverdächtig wie jene, die er tags zuvor am Südbahnhof gelesen hatte. Nichts wies auf ein bevorstehendes Ereignis von außergewöhnlicher Dimension hin.
    Er trat vor die Tür. Die ersten Blitze zuckten. Der Wind nahm an Stärke zu. Leere Zigarettenschachteln und anderer Müll fegten über die Straße.
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