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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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den Computer ein. Server error. Er schaltete das Radio ein. Rauschen.
    Er setzte sich auf die Couch. Er konnte keine Ordnung in seine Gedanken bringen. Seine Hände waren feucht.
    Von einem fleckigen Zettel an der Pinnwand las er Zahlen ab, die Marie ihm schon vor Jahren notiert hatte. Die Nummer ihrer Schwester, die sie in England besuchte. Er wählte. Das Läuten klang anders als bei Anrufen in Österreich. Tiefer, und jedes Läuten bestand aus zwei kurzen Tönen. Nachdem er diese zum zehntenmal gehört hatte, legte er auf.
    Als er wieder aus dem Haus trat, linste er nach links und rechts. Auf dem Weg zum Auto hielt er sich nicht auf. Ein paarmal blickte er über die Schulter zurück. Er blieb stehen und horchte.
    Da war nichts. Keine davoneilenden Schritte, kein Räuspern, kein Atem. Nichts.
    Die Luft im Inneren des Toyota war stickig. Das Lenkrad war heiß, und er konnte es nur mit den Handballen und mit dem verbundenen Zeigefinger berühren. Er kurbelte das Fenster herunter.
    Draußen war nichts zu hören.
    Er knipste das Radio an. Rauschen. Auf allen Kanälen.
    Er fuhr über die leere Heiligenstädter Brücke, auf der die Autos gewöhnlich dicht an dicht standen, und nahm die Lände stadteinwärts. Er hielt nach Leben Ausschau. Oder wenigstens nach einem Zeichen, das ihm verriet, was hier geschehen war. Aber alles, was er sah, waren abgestellte Autos. Geparkt ganz vorschriftsmäßig, als seien ihre Besitzer nur für einen Moment in einen Hausflur verschwunden.
    Er kniff sich in die Beine. Kratzte sich die Wangen.
    »Hey! Hallo!«
    Am Franz-Josef-Kai wurde er von einem Radarkasten geblitzt. Weil ihm die höhere Geschwindigkeit Sicherheit verlieh, fuhr er über siebzig. Er bog in die Ringstraße ein, die das Zentrum Wiens von den anderen Bezirken trennt, und beschleunigte weiter. Am Schwarzenbergplatz erwog er, anzuhalten und ins Büro hinaufzulaufen. Mit neunzig ging es vorbei an der Oper, am Burggarten, an der Hofburg. Im letzten Moment bremste er und fuhr durch das Tor auf den Heldenplatz.
    Weit und breit kein Mensch.
    An einer roten Ampel blieb er mit quietschenden Reifen stehen. Er stellte die Zündung ab. Nichts als das Knistern unter der Motorhaube war zu vernehmen. Er fuhr sich durchs Haar. Er wischte sich die Stirn ab. Er verschränkte die Hände ineinander und ließ die Fingerknochen knacken.
    Plötzlich fiel ihm auf, daß nicht einmal Vögel zu sehen waren.
    In hohem Tempo umrundete er den ersten Bezirk, bis er wieder am Schwarzenbergplatz ankam. Er bog rechts ab. Kurz nach der nächsten Ecke hielt er. Im zweiten Stock dieses Hauses lag die Firma Schmidt.
    Nach allen Seiten sah er sich um. Er blieb stehen, horchte. Er lief ein paar Meter vor zur Kreuzung. Spähte in die umliegenden Straßen. Geparkte Autos. Sonst nichts.
    Eine Hand an die Stirn legend, blickte er zu den Fenstern hinauf. Er rief den Namen seiner Chefin. Er drückte die schwere Haustür des Altbaus auf. Kühle, abgestandene Luft schlug ihm entgegen. Von der Helligkeit draußen geblendet, zwinkerte er. Der Flur war dunkel, schmutzig und verlassen wie je.
    Die Firma Schmidt erstreckte sich über den gesamten zweiten Stock. Im Ganzen waren es sechs Zimmer, die Jonas durchlief. Er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Die Bildschirme standen auf den Schreibtischen, daneben stapelten sich Papiere. An den Wänden hingen die grellen Bilder von Anzingers malender Tante. Martinas Zimmerpflanze war an ihrem Platz neben dem Fenster. In der von Frau Pedersen eingerichteten Kinderecke lagen Bälle, Bauklötze und Plastiklokomotiven wie gerade verlassen. Überall verstellten sperrige Pakete mit den vor kurzem gelieferten Katalogen den Weg. Auch der Geruch hatte sich nicht verändert. In der Luft lag jene Mischung von Holz, Stoff und Papier, an die man sich entweder sofort gewöhnte oder die einen nach wenigen Tagen kündigen ließ.
    An seinem Schreibtisch fuhr er den Computer hoch. Er versuchte, eine Verbindung ins Netz zu bekommen.
    Die Seite kann nicht angezeigt werden. Möglicherweise sind technische Schwierigkeiten aufgetreten, oder Sie sollten die Browsereinstellungen überprüfen .
    Er klickte in die Adreßzeile und tippte:
    www.orf.at
    Die Seite kann nicht angezeigt werden.
    www.cnn.com
    Die Seite kann nicht angezeigt werden.
    www.rtl.de
    Die Seite kann nicht angezeigt werden.
    Versuchen Sie folgendes: Klicken Sie auf Aktualisieren, oder wiederholen Sie den Vorgang später .
    Unter seinen Schuhen knarrte der alte Holzboden, während er erneut von
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