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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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sperrte ab. Ließ sich ein Bad ein.
    Während das Wasser in die Wanne lief, schaltete er den Fernseher an. Wieder und wieder wählte er Maries Handynummer, auch probierte er es zum hundertstenmal bei ihren Verwandten.
    Er ging durch die Suite. Seine Füße versanken in einem orientalischen Teppich, unter dem leise der Boden knarrte. Vermutlich hätte er dieses Knarren früher nicht wahrgenommen. Aber seit Tagen quälte seine Ohren diese unnatürliche Stille, und schon geringste Geräusche ließen ihn herumfahren.
    In der Zimmerbar wartete eine Flasche Champagner. Es erschien ihm zwar nicht sehr passend, aber er legte sich mit einem Glas in die Wanne. Er nahm einen Schluck, schloß die Augen. Es roch nach Badezusätzen und ätherischen Ölen. Rund um ihn knisterte der Schaum.
    Am Morgen fand er seine Schuhe übereinander vor. Und zwar in einer Stellung einander zugekehrt, die ihn an die Art erinnerte, wie Marie und er von Zeit zu Zeit ihre Mobiltelefone übereinanderlegten: Als umarmten sie einander. Nur eben ohne Arme.
    Er war sich ziemlich sicher, daß er die Schuhe nicht übereinandergestellt hatte.
    Er kontrollierte die Tür. Von innen abgesperrt.
    Er bereute, am Abend zuvor weder Brot noch Semmeln aus dem Gefrierraum in der Hotelküche genommen zu haben. Er fand ein paar Kiwis, die er vor dem Obstregal stehend auslöffelte.
    Noch immer beschallte die Anlage das ganze Haus. Mit eingezogenem Kopf eilte er zur Rezeption. Eilig schrieb er auf ein Stück Papier seinen Namen und seine Handynummer. Sowie eine Notiz, daß jeder, der dies lese, ihn unbedingt anrufen möge. Diesen Zettel klebte er am Empfangsschalter fest. Ehe er das Hotel verließ, deckte er sich mit Papier und Klebestreifen ein.
    Salzburg, Marriott, 7 . Juli , schrieb er auf die Karte, die er draußen in den Briefkasten warf.
    Um zwölf Uhr mittags fuhr er durch das verlassene Villach, um halb eins hupte er vor dem Lindwurm in Klagenfurt. In beiden Orten schrieb er Postkarten, in beiden Orten ließ er Zettel mit seiner Telefonnummer zurück. Mit der Durchsuchung von Häusern hielt er sich nicht auf.
    Mehrmals hielt er in der Mitte großer Plätze an, wo er gefahrlos aussteigen konnte, um mit freiem Rücken ein paar Schritte zu machen. Er rief. Horchte. Starrte zu Boden.
    Die Kraft seines Wagens und der Umstand, daß er sich nicht um Gegenverkehr kümmern mußte, brachte ihn in wenigen Minuten über den Loiblpaß zur Grenze. Die Station war verlassen, der Schlagbaum offen.
    Er durchsuchte die Amtsstuben. Wählte Nummern, die in den Telefonen gespeichert waren. Niemand meldete sich. Auch hier hinterließ er eine Nachricht. Ebenso verfuhr er an der slowenischen Grenzstation ein paar hundert Meter weiter. Er tankte, deckte sich mit Mineralwasser und Trockenwurst ein, schluckte ein Aspirin.
    Für die knapp achtzig Kilometer nach Ljubljana benötigte er kaum eine halbe Stunde. Die Stadt war leer. Ebenso wie die Städte Domzale, Celje, Slovenska Bistrica, Maribor.
    Überall ließ er auf englisch und deutsch Nachrichten zurück. Er warf mit slowenischen Wertzeichen versehene Postkarten ein. An Tankstellen wählte er gespeicherte Telefonnummern, an Mautstellen bemühte er interne Kommunikationseinrichtungen. Er löste Alarm aus. Wartete einige Minuten. Hinterließ seine Visitenkarte, weil ihm das Papier des Marriott ausgegangen war.
    Kurz vor der slowenisch-ungarischen Grenze passierte er einen umgestürzten Lkw. Er bremste so abrupt, daß er beinahe die Herrschaft über den Wagen verloren hätte. Das Führerhaus des Transporters war auf der Seite zu liegen gekommen. Es bedurfte einigen Kletterns, um von oben die Fahrertür zu öffnen. Der Führerstand war leer.
    Er untersuchte die Umgebung. Bremsspuren waren zu sehen. Eine Leitplanke war beschädigt, ein Teil der Ladung – Werkstoff – lag im Straßengraben. Alles sprach dafür, daß es sich um einen normalen Unfall gehandelt hatte.
    Auch in Ungarn traf er keine Menschenseele.
    Er kam bis nach Zalaegerszeg. Von dort aus nahm er die Schnellstraße Richtung Österreich. Bei Heiligenkreuz fuhr er über die Grenze. Er hatte das absurde Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

4
    Am Vorabend hatte er eine Streichholzschachtel gegen die Wohnungstür gelegt, wie er es in Filmen gesehen hatte. Als er am Morgen die Tür kontrollierte, lag die Schachtel noch da. An der exakt gleichen Stelle.
    Nur daß die Seite mit dem Adler nach oben schaute, nicht mehr die mit der Fahne.
    Die Tür war versperrt. Es war ein
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