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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Autoren: Kai Meyer
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bleiben, sagt sie. Du hättest es ihr versprochen.«
    »Wie sie sich plötzlich gegen Cristóbal gestellt hat, nach all den Jahren… Sie ist unberechenbar.«
    »Vielleicht sind das alle Unsterblichen.«
    Sie sah ihn an und fragte sich, ob er damit auf das anspielte, was sie getan hatte. Ihm angetan hatte. »Ich weiß, dass es falsch war.«
    »Was?«
    »Dir das Kraut zu geben. Ich hätte es nicht tun dürfen, aber ich kann es nicht ändern, und ich kann es nicht wieder gutmachen. Das weiß ich. Du musst mich nicht daran erinnern.«
    Wieder lächelte er. Seltsam versöhnlich, diesmal. »Ich nehme dir das nicht mehr übel.«
    »Natürlich tust du das.«
    »Nein. Jetzt nicht mehr. Weil ich glaube, dass wir eine Wahl ha-ben.«
    »Uns einfach umzubringen?« Ihr Zynismus war nicht beabsichtigt, aber in diesen Dingen hatte er sich längst verselbstständigt.
    »Eine Wahl, was wir daraus machen«, sagte er. »Es gibt nicht nur einen Weg, damit fertig zu werden. Nicht nur Verbitterung oder Wut oder von mir aus auch Größenwahn. Und wir haben Innana. Ihre Erfahrung wird uns helfen.«
    »Wir?«
    »Sie kann bei mir bleiben, wenn sie will. Bei mir und Karisma.«
    »Ist das dein Ernst?«
    Er nickte. »Karisma und ich haben darüber gesprochen. Cristóbal war ihr Onkel, und sie ist die Erbin von all dem hier. Der Templum Novum braucht dringend eine neue Bleibe. Wir können uns nicht ewig im Katharinenkloster verkriechen.« Er zuckte mit den Schultern. »Lascari hatte vielleicht Unrecht, was den Schatz betraf. Doch am Ende ist sein Plan aufgegangen.« Mit einer weiten Handbewegung wies er über den See und zum Anwesen hinüber. »Das hier ist die Zukunft des Templum Novum. Hierher können wir Bruder Giacomo und die anderen holen – und die neuen Brüder und Schwestern, sobald wir welche gefunden haben.«
    »Und Innana kann hier bleiben?«
    »Warum nicht?«
    Aura überlegte einen Moment. »Ich denke, das wird ihr gefallen. Sie hat gesagt, dass man in ihrem Alter alles Beständige zu schätzen lernt. Sie hat alles gesehen, alles getan. Und ich glaube, mit dem Verlust des Verbum Dimissum wird sie auch ihren letzten Versuch aufgeben, etwas zu verändern.«
    Gillian wollte etwas erwidern, als hinter ihnen ein Rascheln ertönte. Innana hatte fast zu ihnen aufgeschlossen, ohne dass sie es bemerkt hatten.
    »Ich wollte euch nicht belauschen«, sagte sie.
    Natürlich nicht, dachte Aura. Du wolltest dir nur die Beine vertreten.
    Innanas Lächeln war ein stummes Eingeständnis. »Ich bleibe, wenn ich darf«, sagte sie zu Gillian. »Ich mag den Blick vom Turm über den See, vor allem im Sommer, wenn die Vögel über dem Wasser kreisen und Fische fangen. Und vielleicht könnte man wieder Wein anpflanzen. Ich könnte mich darum kümmern, wenn du willst.«
    Im ersten Moment fand Aura die Vorstellung so komisch, dass sie lächeln musste. Aber je länger sie darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihr die Idee. Mit Angelegenheiten des Alters und der Reife kannte Innana sich zweifellos aus.
    »Wir werden sehen«, sagte Gillian, aber Aura spürte, dass ihm die Vorstellung blühender Weinberge gefiel. Mit einem Blick auf Innana fügte er hinzu: »Aber es wird keine Schwarze Isis mehr geben. Keine Göttin.«
    Aura wusste es besser, und sie nahm an, dass es ihm insgeheim genauso ging. Wieder stellte sie sich die Frage, die ihr schon einmal in den Sinn gekommen war: Musste ein Alter wie das von Innana nicht zwangsläufig einen Hauch von Göttlichkeit mit sich bringen? Wer wollte darüber entscheiden? Allenfalls Innana selbst, und sie hatte ihre Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen.
    Innana lächelte. »Templum Novum… das klingt nach Hoffnung«, sagte sie so leise, als spräche sie zu sich selbst.
    Dann drehte sie sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon.
    Aura und Gillian blieben stehen und blickten ihr schweigend hinter-her, beobachteten, wie sie zur Landzunge ging und den Weg in Rich-tung Haus einschlug, eine schmale, schwarze Silhouette, winzig klein vor der Weite einer Landschaft, mit der sie die Ewigkeit gemein hatte.
    »Versprich mir etwas«, sagte Aura. Er nickte, weil er wusste, was sie sagen würde.
    »Wenn mit einem von uns das Gleiche passiert, egal ob in fünfzig oder fünfhundert oder fünftausend Jahren… Wenn einer sich so einsam fühlt wie sie, dann ist der andere für ihn da, ja?«
    Statt einer Antwort nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich, und so standen sie lange Zeit da, ohne ein Wort zu
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