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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Autoren: Kai Meyer
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Ausschlaggebend, die Kinder hier zu behalten, war jedoch letztlich die Tatsache gewesen, dass Aura Gian und Tess nicht schon wieder wegschicken wollte. Schon die wenigen Stunden, die sie hier bei den Kaskadens ohne die Beiden verbrachte, bereiteten ihr Unbehagen. Aber sie wusste auch, dass dieses Gefühl verschwinden würde, irgendwann.
    Cristóbals Tod lag beinahe drei Wochen zurück. Sie hatten noch einige Tage im Anwesen in der Sierra verbracht, auch dann noch, als Gillian bereits zum Sinai abgereist war, um die übrigen Templer abzuholen. Karisma hätte ihn gern begleitet, aber es war zu viel zu erledigen; das Haus musste für die Brüder instand gesetzt werden. Aura, Gian und Tess hatten Karisma bei den Aufräumarbeiten geholfen, und schließlich hatte Aura sie nach Soria begleitet, um dort Arbeiter anzuwerben, für die Umbauten am Gebäude, – sie brauchten dringend mehr Fenster, mehr Licht –, und die Arbeiten in den Weinbergen. Allein das Einebnen der Hänge würde Monate in Anspruch nehmen.
    In einem Bankhaus in Soria hatte Aura einen größeren Betrag abgehoben, damit Karisma über Bargeld verfügte. Schließlich hatten sie ihr alles Gute gewünscht, ihr die Adresse in Lissabon hinterlassen und waren abgereist. Im Zug hatten sie endlich wieder Nachrichten aus Deutschland, Frankreich und Osteuropa gelesen, und was sie erfahren hatten, machte ihnen Angst. Der Krieg weitete sich ungeheuer rasch aus, und auch wenn Spanien abermals seine Neutralität bekräftigt hatte, machte Aura sich die größten Sorgen um die Menschen, die sie zurückgelassen hatte. Sylvette und ihre Mutter hatten das Reich längst in Richtung Amerika verlassen und waren vermutlich schon dort angekommen. Doch was war mit den Bediensteten im Schloss, mit den Menschen im Dorf? Sie wusste, dass sie nichts für sie tun konnte, und das machte den Gedanken an sie nur noch schmerzlicher. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, war sie in dieser Sache hilflos.
    In Santiago de Compostela angekommen, hatte sie zwei Tage benötigt, um die Zwillinge ausfindig zu machen.
    Unter falschen Namen hatten sie ein Apartment bezogen und verdienten sich ihr Geld damit, leichtgläubigen Pilgern Marienvisionen und andere Erscheinungen von Heiligen vorzugaukeln. Das Geschäft schien gut zu laufen, denn die Wohnung drohte bereits trotz der kurzen Zeit, die sie hier lebten, vor unnützem Krimskrams aus den Nähten zu platzen, Gegenstände, die sie den Pilgern aus aller Herren Länder abgeschwatzt hatten. Die Sammelleidenschaft der beiden war nicht zu bremsen, ungehindert aller Wirren, die sie hinter sich und vielleicht auch noch vor sich hatten.
    »Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Lucrecia.
    »In Lissabon? Ich werde wohl versuchen, Kontakt zu meiner Schwester in New York aufzunehmen. Aber dann?« Sie zuckte die Achseln. »Mich um Gian kümmern. Und um Tess. Und irgendwann, wenn dieser Krieg vorbei ist, zurück nach Hause gehen. Dort gibt es sicher genug zu tun, falls dann überhaupt noch etwas übrig ist. Das Schloss meiner Familie steht an der Ostsee, und dort wird zurzeit gekämpft.« Sie trank den Eistee in einem Zug aus, nahm ihren Mantel von einer Stuhllehne und wandte sich zum Gehen. Sie dachte an die Worte Innanas und sagte mit einem Lächeln: »Außerdem gibt es eine Menge, das ich herausfinden muss. Über mich selbst.«
    Und über die Ewigkeit.
    Lucrecia erhob sich. »Wenn wir Ihnen tatsächlich Ihre Zukunft zeigen könnten, würden Sie sie dann sehen wollen?«
    Aura überlegte einen Moment. Sie war versucht, nein zu sagen, wollte besonnen und vernünftig sein. Doch dann nickte sie zögernd. »Ja, vielleicht.«
    Die Zwillinge begleiteten sie hinaus.
    »Kommen Sie uns wieder besuchen«, sagte Salome zum Abschied.
    Aura trat hinaus ins Sonnenlicht, so hell, dass sie einen Moment lang die Augen schließen musste, um sich daran zu gewöhnen. Dann erst ging sie los, quer über die Praza de las Platerias. Sie trug ihren Mantel über dem Arm. Es war noch immer schwül und drückend, und sie wusste plötzlich selbst nicht mehr, weshalb sie ihn überhaupt mitgenommen hatte. Sie blickte sich um, suchte sich unter den Bettlerinnen vor der Kathedrale eine besonders zerlumpte Gestalt aus und gab ihr den Mantel als Geschenk. Den Dank der Frau quittierte sie mit einem Lächeln und setzte ihren Weg fort.
    Der Schatten der Kathedrale lag über dem Platz. Aura wollte weitergehen, zurück zum Hotel, aber dann erinnerte sie sich, dass sie alle Zeit der Welt hatte, und dass
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