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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Autoren: Kai Meyer
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sagen.
    Schließlich gingen sie zurück zu den anderen, gemeinsam und doch jeder für sich. Zurück zu Konstantin. Zurück zu Karisma.
    Sie akzeptierten, was sie waren.
    Und was sie, vielleicht, einmal sein würden.
    EPILOG
    Unter dem Fenster strömten Pilger über die Praza de las Platerias, den alten Platz der Silberschmiede. Von hier aus näherten sie sich der Ostfassade der Kathedrale, dem Herzen von Santiago de Compostela, und bewunderten – atemlos vor Begeisterung, aber mehr noch von der Anstrengung des Weges – den romanischen Wand-schmuck mit seiner Vielzahl an Skulpturen und Reliefs.
    Aura blickte aus dem Fenster im vierten Stock hinüber zur Fassade, die an dieser Stelle um eine Ecke führte. Von hier aus konnte sie das steinerne Abbild des musizierenden König David erkennen. Selbst wenn er spielen könnte, dachte sie, wäre es ihm wohl unmöglich, den Lärm der Menschen rund um die Kathedrale zu übertönen.
    Seltsamerweise kam wenig von dem Krach hier oben an. Ein Stück weiter unten trieben Fürbitten und Gesänge über die Menge wie ein Lärm gewordener Vorgeschmack des Heiligen, des Numinosen, das all diese Menschen herbeigelockt hatte. Hier oben aber herrschte Ruhe, beinahe meditative Gelassenheit.
    Wie die Pilger war auch Aura nach Santiago gekommen, weil eine Suche sie hierher geführt hatte. Nicht mehr die Suche nach einem Gegenstand, auch nicht nach einem abstrakten Begriff wie dem Verbum Dimissum.
    Sie war auf der Suche nach zwei Freundinnen. Und sie hatte sie gefunden.
    »Also keine Visionen mehr«, sagte sie leise und drehte sich um.
    Salome Kaskaden servierte ihr Eistee, während Lucrecia bedächtig in einem Glas rührte. Hinter ihr an der Wand tickte eine Uhr, deren Gehäuse die Form einer polynesischen Gottheit hatte, mit flammendem Haar, runden Augen und gefletschtem Gebiss.
    »Keine Visionen«, wiederholte Lucrecia. Ihre Hand zitterte leicht, so als wäre sie noch immer geschwächt von der Séance, die sie erst vor wenigen Minuten beendet hatten. Vielleicht aber spielte sie diese Schwäche auch nur. Bei ihr konnte man nie ganz sicher sein.
    »Sie haben doch gesagt, Sie hätten diese Frau gefunden«, sagte Salome und stellte die gekühlte Glaskaraffe auf dem Tisch ab.
    »Die Schwarze Isis.«
    »Ja.«
    Salome zuckte die Schultern. »Dann hat sie keinen Grund mehr, Sie zu rufen.«
    »Heißt das, Sie glauben, dass all diese Bilder von ihr kamen und nicht aus mir selbst?«
    »Ist es das, wovor Sie Angst haben?«
    »Ja… vielleicht.«
    Lucrecia ließ den Löffel los. Mit einem leisen Klirren kippte er ge-gen den Glasrand. »Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es ist vorbei.«
    Aura schaute wieder aus dem Fenster und hinab auf die Menschen, die dort unten am Ziel ihrer Reise angekommen waren. Genau wie sie selbst.
    »Der Chevalier ist bei Ihnen, sagen Sie?« Der erste Riss in Lucrecias Maske aus gespieltem Gleichmut. Aura lächelte still. Was immer zwischen den beiden gewesen war, es war nicht ihre Sache.
    »Konstantin hat mich nach Santiago de Compostela begleitet«, sagte sie. »Aber er ist nach Lissabon weiter gereist. Wir treffen uns dort in einer Woche.«
    Lucrecia atmete merklich auf, doch ihre Neugier war noch nicht gestillt. »Sie und er… Sind Sie…«
    Aura seufzte. »Ich weiß es nicht. Wenn es nach ihm ginge… ja, ich denke schon.«
    »Aber Sie sind nicht sicher?«, fragte Salome mit beinahe kindlichem Eifer. Wie immer war sie die offenere der Schwestern. Sie machte sich nicht die Mühe, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
    Aura schenkte ihr ein Lächeln. »Wir haben genug Zeit, um das herauszufinden, wissen Sie? Ich mag ihn, aber ich kenne ihn kaum. Nicht gut genug, jedenfalls. Aber es ist schön so, wie es ist.«
    »Was sagt Ihr Sohn dazu?«, fragte Lucrecia.
    »Gian akzeptiert ihn. Tess ebenfalls. Sie mag ihn mehr, glaube ich, als Gian ihn mag.«
    »Sind die beiden auch hier in der Stadt?«
    »Sie warten im Hotel auf mich.« Konstantin hatte angeboten, die beiden mit nach Lissabon zu nehmen. Er hatte gesagt, sie könnten ihm helfen, alles Nötige zu organisieren, damit Aura das Haus, das sich dort im Besitz der Familie befand, schnellstmöglich beziehen konnte. Aber natürlich war das nur ein Vorwand gewesen; in Wahrheit wollte er ihr die nötige Ruhe verschaffen, um mit den vergangenen Wochen abzuschließen. Sie hatte ihm alle Vollmachten unterschrieben, und er würde alles Organisatorische ebenso gründlich und vermutlich sogar schneller erledigen, wenn er allein war.
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