Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
Vom Netzwerk:
vor Morgengrauen kommen, den Safe ganz ausräumen und auf einen Schlag klar Schiff machen. Der Hintereingang war gesichert wie Fort Knox, aber die Vordertür konnte man mit einem Stemmeisen in eineinhalb Minuten aufbrechen – typisch. Bei Spuren von gewaltsamem Eindringen zahlte die Versicherung. Niemand käme zu Schaden. Ich schaute in die obersten Schubladen des Schreibtischs, warf einen Blick auf die Pinnwand, und da stand sie auf einem Zettel, in Oz’ Drittklässlerschrift: 43 23 65 – die Kombination. Er hatte darum gebettelt.
    Ich musste diese Woche zumindest die Gebühren für Harvard zahlen. Sonst konnte ich meinen Abschluss vergessen. Die ganze Arbeit für die Katz. Das Blut pumpte durch meine Adern. Ich spürte das Prickeln im ganzen Körper. Es fühlte sich gut an. Wirklich gut. Es hatte mir gefehlt. Zehn Jahre war ich sauber gewesen, aufrecht, ehrgeizig, tatkräftig. Ich war nicht vom Weg abgekommen, hatte höchstens mal ein paar Schokokugeln aus dem Süßigkeitenregal mitgehen lassen.
    Es fühlte sich gut an, vor dem offenen Safe zu stehen. Viel zu gut. Es lag mir im Blut. Ich wusste, wenn ich diesem Scheiß auch nur die kleinste Chance gab, dann würde er mich ruinieren – wie er meinen Vater, meine ganze Familie ruiniert hatte. Ich schaute an mir herunter. Ich sah das akkurat gebügelte Hemd, die Slipper und Thukydides, der vom Umschlag meines Buches zu mir hochschaute.
    »Was soll das, du Penner?«, murmelte ich. Wen verarschte ich hier? Für einen Gauner war ich zu verdammt ehrbar. Und irgendwie doch zu sehr Gauner, um ehrbar zu sein. Ich trank den Kaffee aus und schaute in die leere Tasse. Um zu überleben, hatte ich mich vor langer Zeit für Ehrlichkeit entschieden, und das würde ich durchziehen, und wenn ich dabei draufginge.
    Ich machte die Safetür zu.
    Davies’ Büro hatte ich mir wie aus einem Film über den Zweiten Weltkrieg vorgestellt: ein Kartenraum mit mannshohen Weltkugeln und er mittendrin, wie er mit einem Croupierrechen Armeen herumschiebt. Stattdessen hatte Harvard ihn in ein fensterloses Büro in der Littauer Hall gesteckt, das mit billigen Möbeln in Kirschbaumfurnier ausgestattet war.
    Als ich ihm gegenübersaß, überkam mich ein gruseliges Déjà-vu-Gefühl. Er schien zu wachsen, während er mich von oben bis unten musterte, und mir fiel wieder ein, wie ich mich gefühlt hatte, als ich vor langer Zeit in der Mitte eines Gerichtssaals gestanden und der Richter von oben auf mich herabgeschaut hatte.
    »Ich muss in ein paar Minuten los, wenn ich den Shuttleflug nach D C noch erwischen will«, sagte Davies. »Aber ich wollte vorher noch mit Ihnen sprechen. Sie haben im Sommer ein Praktikum bei Damrosch und Cox gemacht, richtig?«
    »Ja, Sir.«
    »Fangen Sie nach Ihrem Abschluss bei denen an?«
    »Nein«, sagte ich.
    Das ist ziemlich ungewöhnlich. Die wirklich harte Arbeit im Jurastudium fällt in den ersten eineinhalb Jahren an, in denen man nur ein Ziel hat: ein Sommerpraktikum in einer Kanzlei. Da wird man dann für null Arbeit fürstlich ausgeführt und königlich überbezahlt als Vorschuss für die sieben Jahre, in denen sie dir dann als Associate in den Arsch treten. Hat man erst mal das Sommerpraktikum ergattert, hat man den Job nach Abschluss des Studiums praktisch in der Tasche – außer, man hat sich wie ein Volltrottel angestellt. Damrosch und Cox hatten sich nicht mehr gemeldet.
    »Warum nicht?«, fragte Davies.
    »Schwierige Wirtschaftslage«, sagte ich. »Außerdem bin ich nicht der typische Bewerber.«
    Davies nahm ein paar Blatt Papier in die Hand und überflog sie. Mein Lebenslauf. Hatte er sich wahrscheinlich im Studentenbüro besorgt.
    »Ihr Chef bei Damrosch und Cox stellt Ihnen ein exzellentes Zeugnis aus. Sie seien eine Naturgewalt.«
    »Das ist sehr nett von ihm.«
    Davies faltete die Blätter zusammen und legte sie auf den Schreibtisch.
    »Damrosch und Cox sind zwei scheißelitäre Nadelstreifen-Snobs«, sagte er.
    Das war auch meine Theorie, warum sie mich nicht genommen hatten, aber ich brauchte eine Sekunde, bis ich verdaut hatte, das gleiche Urteil aus Davies’ Mund zu hören. Seiner Firma eilte ein Ruf voraus, gegen den sich jeder scheiß elitäre Nadelstreifen-Snob wie ein Hinterhofpenner aus nahm.
    »Sie sind mit neunzehn zur Navy gegangen. Da haben sich die meisten Ihrer Seminarkumpel wahrscheinlich eine Auszeit nach der Schule gegönnt und auf einem Europatrip ihren Verstand versoffen. Höchster Unteroffiziersrang. Ein Jahr am Pensacola
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher