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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
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Kombinationen für einen Sentry-Safe.
    Oz, der Schwiegersohn des Besitzers, zweigte Kohle ab. Nicht nur hier und da, den üblichen »Schwund«, mit dem jeder Laden leben musste. Nein, er raubte den Laden aus. Ich hatte das Spiel schon eine Zeit lang beobachtet: Er schenkte Drinks aus, ohne zu bonieren. Er erließ seinen Stammgästen die Hälfte der Rechnung, tippte nichts in die Kasse ein und zweigte das Geld für sich ab. Jeden Abend so große Beträge aus der Kasse zu nehmen muss mit der Zeit ein bisschen schwierig geworden sein, weil er das ja tun musste, während wir darauf warteten, ausgezahlt zu werden. Ich war mir deshalb ziemlich sicher, todsicher, dass das Arschloch das Geld im Safe aufbewahrte. Ich wusste es einfach. Wahrscheinlich weil seine Tour im Grunde eine plumpe Version dessen war, was ich an seiner Stelle auch getan hätte, hätte ich meinen krummen Geschäften nicht schon vor langer Zeit abgeschworen gehabt. Der akademische Ausdruck dafür ist »wachsamer Opportunismus«. Er bedeutet, dass man die Welt mit den Augen eines Kriminellen anders sieht: nämlich lediglich als eine Ansammlung von unbeaufsichtigten Bonbongläsern. Ich fing an, mir Sorgen um mich zu machen, weil mir jetzt, da ich Geld brauchte, dringend Geld brauchte, all diese Dinge wieder ins Auge sprangen: nicht abgeschlossene Autos, angelehnte Türen, offene Geldbörsen, billige Schlösser, dunkle Hauseingänge.
    Sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte meine Ausbildung, meine kriminellen Kenntnisse einfach nicht vergessen. Ich konnte all diese Einladungen auf Abwege einfach nicht ignorieren. Die Menschen scheinen zu glauben, dass Einbrecher Schlösser aufbrechen, durch Abflussrohre robben und Witwen bezirzen. Dabei müssen sie in der Regel nur die Augen offen halten. Das Geld liegt mehr oder weniger auf der Straße, weil ehrliche Menschen einfach nicht glauben können, dass Leute wie ich durch die Gegend laufen. Der versteckte Schlüssel, die unverschlossene Garage, der Hochzeitstag als PIN-Nummer. Man braucht nur zuzugreifen. Und das Lustige ist: Je rechtschaffener ich wurde, desto leichter war es, ein Gauner zu sein. Als würden meine Mitmenschen die Versuchungen ständig potenzieren, nur um immer wieder zu überprüfen, ob ich nach all den Jahren noch sauber war. Als harmlos aussehender Student in meinem Button-down- Hemd hätte ich wahrscheinlich mit einem Müllbeutel voller Hunderter und einem Revolver im Gürtel aus der Cambridge Savings and Trust marschieren können, und der Wachmann hätte mir die Tür aufgehalten und obendrein ein schönes Wochenende gewünscht.
    Wachsamer Opportunismus. Deshalb bekam ich mit, dass Oz den Safe tagsüber auf »Stand-by« stehen hatte und nur die letzte Zahl eingeben musste, um ihn zu öffnen. Deshalb wusste ich, dass diese letzte Zahl fünfundsechzig war. Deshalb konnte ich mich daran erinnern, dass, selbst wenn Oz die Kombination geändert hatte, Sentry-Safes nur mit einer Hand voll voreingestellter Kombinationen ausgeliefert wurden, sogenannter Test-Codes, und wenn seiner auf fünfundsechzig endete, mit fast hundertprozentiger Sicherheit irgendjemand irgendwann einfach zu faul gewesen war, die ursprünglich vom Hersteller eingestellte Kombination 4 3 -2 3 -65 zu ändern. Deshalb war mir aufgefallen, dass Oz kaum in der Lage war, eine Summe im Kopf zusammenzuzählen, ganz zu schweigen davon, den Überblick über sein abgezocktes Geld zu behalten, und dass seine Sauferei immer schlimmer wurde: schon morgens um halb elf hatte er eine halbe Tasse mit einem doppelten Jameson und einem Schuss Kaffee intus. Und selbst wenn ihm auffallen würde, dass etwas fehlte, wem sollte er es erzählen? Es gibt keine Ganovenehre, richtig?
    Oz zog die Geldschublade aus der Kasse an der Bar. Er trug sie in sein Büro. Ich hörte, wie der Safe geöffnet und geschlossen wurde. Er kam zurück und sagte: »Ich gehe eben Zigaretten holen. Pass mal kurz auf den Laden auf, okay?«
    Die Gelegenheit klopfte an. Ich nickte.
    Ich ging ins Büro und probierte den Griff am Safe. Er war offen. Jesus. Oz bettelte praktisch darum. Ich ging den Inhalt durch. Ich zählte etwa achtundvierzigtausend Dollar in gebündelten und vielleicht noch mal zehn Riesen in lose ge stapelten Scheinen. Oz war mächtig im Rückstand mit seinen Bankeinzahlungen.
    Es gab zwei Möglichkeiten: Ich konnte die goldene Gans Knochen für Knochen abknabbern und mir so Crenshaw lange genug vom Leib halten, bis ich meinen Abschluss hatte. Oder ich konnte
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