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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
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Crenshaw kann ich nicht abschütteln, bevor ich einen Abschluss und einen anständigen Job habe, und beides schaffe ich erst, wenn ich Crenshaw abgeschüttelt habe, was heißt, ich stehe mit dreiundachtzig Riesen bei Crenshaw und hundertsechzig Riesen bei Harvard in der Kreide, ohne jede Chance, jemals so viel zu verdienen. Alles, wofür ich mir in den letzten zehn Jahren den Arsch abgeschuftet habe, all die in diesem Raum versammelte Ehrbarkeit, war drauf und dran, mir endgültig zu entgleiten. Und die Wurzel all dessen? Mein Vater, der Knastbruder, der sich als Erster mit Crenshaw in die Haare gekriegt, der mich im Alter von zwölf Jahren als Herr des Hauses zurückgelassen hatte und der der Welt einen Dienst erweisen und statt meiner Mom den Löffel hätte abgeben sollen. Ich sah ihn vor mir, sah sein Feixen, und sosehr ich mich auch dagegen sträubte, ich konnte an nichts anderes denken als an …
    »Rache«, sagte ich.
    Davies berührte mit dem Bügel seiner Brille die Lippen. Er wartete darauf, dass ich fortfuhr.
    »Ich meine, Princip ist bettelarm, richtig? Sechs von seinen Geschwistern sind gestorben, und seine Eltern müssen ihn weggeben, weil sie nicht genug zu essen für ihn haben. Und er glaubt, der einzige Grund, warum er im Leben nicht vorwärts kommt, sind die Österreicher, die seine Familie drangsalieren, solange er denken kann. Er ist ein schmächtiges Bürschchen, und die Guerillas lachen ihn aus, als er bei ihnen mitmachen will. Er ist ein Niemand, der auf die Kacke hauen will. Die anderen Attentäter verlieren die Nerven, aber er … er ist so angepisst wie keiner von den anderen. Er hat etwas zu beweisen. Dreiundzwanzig Jahre Verbitterung. Also tut er, was er tun muss, damit man ihn wahrnimmt, auch wenn er dafür jemanden töten muss. Besonders wenn er dafür jemanden töten muss. Je gefährlicher der Job, desto besser.«
    Meine Kommilitonen schauten angewidert zur Seite. Ich machte im Seminar nicht oft den Mund auf, und wenn, dann bemühte ich mich, wie alle anderen ein geschliffenes, erlesenes Harvard-Englisch zu sprechen – nicht das des normalen Mike, das mir gerade herausgerutscht war. Ich wartete auf meine Hinrichtung. Ich hatte mich wie ein Straßenlümmel angehört, nicht wie ein junges vielversprechendes Mitglied des Esta blishments.
    »Nicht übel«, sagte er. Er dachte kurz nach, dann schaute er sich im Raum um.
    »Fabelhafte Strategie, Weltkrieg. Sie verstricken sich alle zu sehr in Abstraktionen. Sie dürfen nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass es am Ende immer um Menschen geht. Irgendwer muss abdrücken. Wenn man Nationen führen will, dann muss man zuerst den einzelnen Menschen verstehen, seine Wünsche und Ängste, die Geheimnisse, die er sich selbst nicht eingesteht, deren er sich vielleicht nicht einmal bewusst ist. Das sind die Hebel, die die Welt bewegen. Jeder Mensch hat einen Preis. Und wenn Sie den herausgefunden haben, dann haben Sie ihn in der Hand, mit Haut und Haaren.«
    Nach der Stunde hatte ich es eilig. Ich wollte mich waschen und wieder um das Desaster in meiner Wohnung kümmern. Eine Hand auf der Schulter hielt mich zurück. Halb rechnete ich damit, dass Crenshaw hinter mir stehen und mich vor all den guten Menschen aus Harvard demütigen würde.
    Vielleicht wäre das die wünschenswertere Alternative gewesen. Es war Davies mit seinem Dolchblick und seiner Flüsterstimme. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten«, sagte er. »Viertel vor elf, in meinem Büro?«
    »Fantastisch«, erwiderte ich. Mehr brachte ich nicht zu stande, um meine Gelassenheit zu demonstrieren.
    Vielleicht hatte er sich den Anschiss für eine private Unterredung aufgehoben. Klasse.
    Ich musste etwas essen und brauchte Schlaf, aber Kaffee würde es fürs Erste auch tun. Um in meine Wohnung zu gehen, reichte die Zeit nicht, also ging ich ohne groß nachzudenken rüber ins Barley, die Bar, wo ich arbeitete. Das Einzige, was mir im Kopf herumschwirrte, war diese eine Zahl: $ 83 359. Und die endlose, jämmerliche Rechnung, die ergab, dass ich die Summe nie würde abbezahlen können.
    Die Bar war ein pompöser Kasten mit zu vielen Fenstern. Die einzig anwesende Person war Oz, der Manager, der für ein paar Schichten in der Woche den Barkeeper machte. Erst als ich an der Eichentheke lehnte und den ersten Schluck bitteren Kaffee trank, wurde es mir klar. Ich war gar nicht wegen des Koffeins gekommen. In meinem Kopf drehen sich die Zahlen: 46 79 35, 43 23 65 usw. Das waren
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