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Die 500 (German Edition)

Die 500 (German Edition)

Titel: Die 500 (German Edition)
Autoren: Matthew Quirk
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Harvard ein paar Schwergewichte aus DC und New York, die bereits Karriere gemacht hatten, das Seminar abzuhalten. Der Kurs lockte im Wesentlichen diejenigen, die renommierten staatlichen Abschlüssen hinterherhechelten und an denen auf dem Campus kein Mangel herrschte. Sie waren darauf aus, mit ihrer kognitiven Kompetenz auf den Putz zu hauen, in der Hoffnung, dass ein hohes Tier aus einer Vorstandsetage sie herauspicken und ihnen die Türen zu einer schillernden Karriere öffnen würde. Ich schaute in die Runde: Überflieger aus den juristischen, wirtschaftswissenschaftlichen und philosophischen Fakultäten, sogar ein paar auf Forschung spezialisierte Mediziner waren dabei. Ego strömte durch den Raum wie frisch gekühlte Luft.
    Ich war im dritten Jahr an der juristischen Fakultät – ich absolvierte ein Doppelstudium in Jura und Politik – und hatte keine Ahnung, wie ich mich in die Harvard Law School oder in dieses Seminar hatte einschleichen können. Ich nahm es gelassen, schließlich war das ziemlich typisch für die letzten zehn Jahre meines Lebens. Vielleicht handelte es sich ja einfach um eine lange Serie von Tippfehlern. Normalerweise hielt ich es mit der Devise: je weniger Fragen, desto besser.
    Sakko, Button-down-Hemd, Khakihose: Meistens schaffte ich es, glaubwürdig zu wirken, wenn auch auf eine etwas abgetragene und ausgefranste Art. Wir steckten mitten in der Diskussion. Das Thema war der Erste Weltkrieg. Professor Davies schaute uns erwartungsvoll an. Wie ein Inquisitor quetschte er die Antworten aus uns heraus.
    »Also«, sagte er. »Gavrilo Princip tritt vor und zieht einem Zuschauer mit seiner kleinen Browning 1910 eins über. Dann schießt er zweimal: Die erste Kugel trifft die Frau des Erzherzogs Franz Ferdinand in den Unterleib, die zweite den Erzherzog selbst in die Halsvene. Und löst damit zufällig den Ersten Weltkrieg aus. Die Frage ist: Warum?«
    Finster schaute er uns nacheinander an. »Sie sollen nicht wieder hochwürgen, was Sie mal gelesen haben. Sie sollen denken.«
    Ich sah, dass die anderen sich wanden. Davies war eindeutig ein Schwergewicht. Die anderen Studenten im Kurs hatten seine Laufbahn mit eifersüchtiger Besessenheit studiert. Ich wusste weniger, aber es reichte. Er war ein alter Profi in Washington. Seit vierzig Jahren kannte er jeden, auf den es ankam, bis zwei Ebenen unterhalb der Leute, auf die es ankam, und – was am wichtigsten war – in welchen Kellern ihre Leichen lagen. Er hatte für Lyndon Johnson gearbeitet, dann die Seiten gewechselt und bei Nixon angeheuert und danach einen Laden aufgemacht, um auf eigene Rechnung die Strippen zu ziehen. Er betrieb jetzt eine Top-Firma für »strategische Beratung« namens Davies Group, bei der ich immer an die Kinks denken musste (was Ihnen einen kleinen Eindruck darüber vermittelt, wie gut ich für das mörderische Karrierekarussell in D C gerüstet war). Davies hatte Einfluss, und mit dem Profit, den er daraus schlug, konnte er sich alles leisten, was er wollte, einschließlich, wie mir einer der anderen Kursteilnehmer steckte, einer Villa in McLean, eines Landsitzes in der Toskana und einer Viertausend-Hektar-Ranch an der Central Coast von Kalifornien. Er leitete das Seminar jetzt seit ein paar Wochen. Meine Mitstudenten vibrierten förmlich vor Aufregung. Nie hatte ich erlebt, dass sie dermaßen scharf darauf waren, Eindruck zu machen. Was mich davon überzeugte, dass Davies in den verschiedenen Umlaufbahnen des offiziellen Washington eine sonnengleiche Anziehungskraft besaß.
    Davies’ übliche Lehrmethode war die, gelassen dazusitzen und gute Miene zu seiner Langeweile zu machen – als hörte er einer Horde Zweitklässler dabei zu, wie sie Belanglosigkeiten über Dinosaurier daherplapperte. Er war nicht sonderlich groß, vielleicht eins achtzig, aber irgendwie … überragte er alles. Seine Anziehungskraft, nun ja, man konnte fast sehen, wie sie jeden Raum ausfüllte. Die Leute hörten auf zu reden, alle Blicke richteten sich auf ihn, und es dauerte nicht lange, da umgaben ihn alle wie Metallspäne einen Magneten.
    Seine Stimme, die war ungewöhnlich. Man hätte ein Dröhnen erwartet, aber seine Stimme war immer weich. Unter dem rechten Ohr, am Ende des Kieferknochens, hatte er eine Narbe am Hals. Es wurde spekuliert, ob eine alte Verletzung etwas mit seiner leisen Stimme zu tun haben könnte, aber niemand wusste Genaueres. Was aber keine große Rolle spielte, denn in fast allen Räumen, in denen er den Mund
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