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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille
Autoren: Susan Hill
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Cat … Oder, besser, zeig ihm, wer hier erwachsen ist. Ich will keine Zwietracht in meiner Familie. Es gibt schon genug Kriege auf der Welt. Übrigens, hast du in letzter Zeit mit deinen Eltern gesprochen?«
    »Mum hat mich gestern angerufen. Warum?«
    »Wie klang sie?«
    »Seltsam. Aber sie klingt inzwischen immer seltsam. Ich finde nicht raus, was es ist … Sie hat diese strahlende, charmante Barriere um sich errichtet. Da ist irgendwas, und ich krieg’s einfach nicht zu fassen.«
    Cat schob Brot in den Toaster. In solchen Momenten fand sie es immer am besten, nicht nachzudenken. Nicht über David Angus nachzudenken und die Möglichkeit, dass er eines entsetzlichen Todes gestorben war, nicht über ihre Mutter und ihren Vater nachzudenken und ob etwas zwischen ihnen passiert war, nicht darüber nachzudenken, viel früher als geplant zur Arbeit zurückzukehren. Nicht zu denken – nur weiterzumachen.
    »Wir ertragen durch Ertragen«, hatte sie irgendwo gelesen. Das war ihr wie eine der größten Wahrheiten vorgekommen, die sie je gehört hatte.
    Die Suppe begann zu blubbern.

[home]
    64
    S imon, das ist die zweite Nachricht, die ich dir hinterlasse. Ich spreche nicht gern mit Anrufbeantwortern. Könntest du so gut sein, mich zurückzurufen?«
    Meriel legte leise einen Armvoll Narzissen, die sie gerade gepflückt hatte, auf das ausgebreitete Zeitungspapier. Der Garten war voll mit Gelb und Gold und dem Rosa und Weiß und Scharlachrot der Tulpen.
    Sie sah hinaus, und die Farbe zerfloss vor ihren Augen wie Blut, das aus einem Leichnam fließt. Die Welt wurde zweidimensional, grau.
    »Verdammte Anrufbeantworter.«
    Sie wagte nichts zu sagen. Sie würde nichts sagen.
    Sie sagte: »Warum hast du Simon angerufen?«
    Richard drehte sich um. »Ich will ihn etwas fragen.«
    »Wenn …« Ihre Kehle zog sich zusammen. »Fragen?«
    Zu ihrer Überraschung trat er zu ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern.
    »Bei dieser Sache, meine Liebe, musst du mir vertrauen. Du hast mir immer vertraut. Und du wirst es für den Rest unseres Lebens tun müssen. Glaubst du, ich würde dieses Vertrauen missbrauchen?«
    Meriel Serrailler hatte in ihrem Leben selten geweint, aber jetzt kamen ihr die Tränen, wenn auch nur bis in die Augen, wo sie blieben und die gelben Blumen auf dem Küchentisch verschwimmen ließen.
    »Was immer ich gesagt haben mag, als du mir von Martha erzählt hast, ich habe es akzeptiert, und ich akzeptiere, dass du das, was du getan hast, für sie und aus bester Absicht getan hast. Ich bin nicht deiner Meinung, aber ich habe deine Herzensgüte und dein Motiv nie in Frage gestellt. Das musst du mir glauben. Und wer kann sagen, dass du dich geirrt hast? Ich nicht. Wer? Niemand. Der allerletzte Mensch, dem ich es verraten würde, wäre unser Sohn.«
    Sie wollte ihre Arme nach ihm ausstrecken, aber er hatte sie in einer einzigen Bewegung losgelassen und war aus dem Raum gegangen. Sie zog ein Taschentuch heraus und wischte sich langsam die Augen. Sie war erschüttert über die Tiefe seiner Güte. Unter der üblichen Förmlichkeit in seiner Stimme hatten eine Weichheit und Zärtlichkeit gelegen, die sie selten bei ihm erlebt hatte.
    Sie setzte sich an den Tisch und schnitt die Blumen. Allmählich sah sie beim Blick aus dem Fenster, dass die Farbe in den Garten zurückgekehrt und voller, strahlender, intensiver war und die Blumen mit einer verwandelten Leuchtkraft schimmerten. Ein Gefühl der Erleichterung und Heiterkeit durchflutete sie. Ihr war vergeben worden.

[home]
    65
    D er Frühling ging in den Frühsommer und warme, sonnige Tage über. Auf dem Hylam Peak wimmelte es wieder von Wanderern. Hasen boxten und Lämmer hüpften und sprangen auf dem frischen Gras. In der Gardale-Schlucht legte jemand Lilien neben das Grab, in dem das Kind verscharrt worden war, obwohl die Leiche längst nicht mehr dort lag. Auf dem Hügel spielten Kinder bei den Wernsteinen, und die von den Ereignissen des vergangenen Jahres hinterlassene Düsterkeit löste sich in der Sonne auf. Die Gärten von Lafferton leuchteten golden von Forsythien.
    Marilyn Angus hatte das Interesse daran verloren, eine eigene Suchaktion durchzuführen. Die Wütenden und die Verrückten, die ihrem öffentlichen Aufruf gefolgt waren, hatten sich zerstreut.
    DCS Jim Chapman war nach Yorkshire zurückgekehrt. Seine Revision des David-Angus-Falls war gründlich gewesen, und er hatte keine Kritik an dessen Handhabung vorgebracht; er hatte einen oder zwei
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