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0413 - Der Nebel-Vampir

0413 - Der Nebel-Vampir

Titel: 0413 - Der Nebel-Vampir
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Augen, denen nichts Menschliches anhaftete, durchdrangen das Metall des Wagens, erkannten mit ungeheurer Präzision die Angst einer jungen Frau. Ein unbegreifliches Wahrnehmungsorgan erfaßte das Netz von unzähligen Adern voller warmen, heftig pulsierenden Blutes. Da war auch noch ein anderes Leben im Wagen, aber es war weniger interessant. Die Angst wirkte wie ein Magnet, und das Wesen war schwach und wehrlos. Es würde leichte Beute sein.
    Schwarze, riesige Schwingen glitten lautlos durch die Nacht.
    Die Angst des Opfers wurde größer, flackernder. Der Unheimliche nährte sich davon und wurde unwillkürlich schneller. Das Opfer konnte ihm nicht entgehen. Das metallische Fahrzeug glitt schnell durch die über die Felder und die Straße kriechenden Nebelschwaden, fast zu schnell für die gewundene Fahrbahn mit teilweise tückisch scharfen Kurven.
    Es gab kein Entkommen – so oder so…
    ***
    Besorgt sah Stanley, daß seine junge Frau zitterte. Er wurde jetzt selbst nervös, aber er konnte keinen Verfolger im Rückspiegel entdecken. Er fragte sich, was Juliet zu sehen glaubte. Ihre vagen Andeutungen flößten Stanley Unbehagen ein. So kannte er seine Juliet gar nicht. Sie war eine Frau, die normalerweise mit allem fertig wurde. Unter Verfolgungswahn hatte sie nie gelitten.
    Bis auf jetzt.
    »Fahr schneller, Stan«, drängte sie wieder. »Bitte…«
    »Ich kann nicht schneller. Es ist zu gefährlich«, sagte er.
    »Was uns verfolgt, ist gefährlicher«, stieß Juliet hervor. »Fahr, Stan. Bitte! Hilf mir! Du kennst die Straße…«
    »Aber es könnte jemand in dieser Nebelsuppe sein, der sie nicht kennt. Jemand, der uns in einer Kurve entgegenkommt, die ich schneiden müßte…«
    »Es kommt! Fahr! Fahr!« Sie schrie es.
    Es sah so aus, als wolle sie ihm ins Lenkrad greifen. Er riskierte es, den betagten Ford noch schneller werden zu lassen. Er fühlte, wie der Wagen in jeder der schnell gefahrenen Kurven auszubrechen begann. Die Straße war naß, die Reifen faßten nicht mehr gut. Schneller durfte er nicht mehr fahren. Er hatte die äußerste Grenze des Möglichen erreicht.
    Warum zum Teufel hatte er nicht die Schnellstraße 19 genommen? Er hätte dann zwar einen weiten Umweg fahren müssen, aber er hätte die ganzen Kurven nicht gehabt, mit denen sich die Straße über den flachen Hügelzug wand. Aber er hatte die kürzeste und damit kurvenreichste Verbindung genommen, um schneller zu Hause zu sein.
    Sie waren in York gewesen und hatten eine Kinovorstellung genossen. Ein Abenteuerfilm. Wäre es ein Grusel- oder Horror-Streifen gewesen, hätte Stanley das Verhalten seiner Frau vielleicht noch begreifen können, aber es hatte keine einzige gruselige oder unheimliche Szene gegeben. Und den Nebel kannten sie beide. Um diese Jahreszeit konnte man den Tag im Kalender rot anstreichen, in dem es hier nicht nebelte. Es war völlig normal.
    Nicht normal war eben Juliets Verhalten…
    »Es kommt…«, flüsterte sie wieder, und ihr Gesicht war angstverzerrt. »Stan…«
    »Was kommt?« Er konnte immer noch nichts erkennen. Ein Riesenvogel, der Seelen jagt, hatte sie gesagt.
    Der Wagen schleuderte, wurde fast von der Fahrbahn getragen. Für ein paar Augenblicke glaubte Stanley, sie würden in den Graben rutschen. Er riß am Lenkrad. Der Ford Cortina drehte sich, glatt weiterrutschend, einmal um sich selbst und kam wieder in Fahrtrichtung. Aber er war fast zum Stillstand gekommen. Stanley kuppelte aus, schaltete in den zweiten Gang herunter und trat das Gaspedal wieder durch.
    Da schrie Juliet.
    So schrill, so durchdringend, wie er es noch nie gehört hatte. Unwillkürlich trat er auf die Bremse.
    Der Wagen stand.
    Stanley schaltete die Warnblinkanlage ein, obgleich ihm klar war, daß das hier nichts nützte. Niemand würde sie rechtzeitig sehen und auf das stehende Hindernis auf der Straße auffahren, direkt hinter der Biegung…
    Aber Juliet!
    Sie war im Sitz zusammengesunken. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie machte matte Armbewegungen, als wolle sie etwas Unsichtbares abwehren. »Stan…«, flüsterte sie noch einmal. »Hilf mir doch, um Himmels willen… es bringt mich doch um…«
    »Was?« Er rüttelte sie leicht. Aber ihre Bewegungen wurden müde, ihr Körper erschlaffte. Nur ihre Brüste hoben und senkten sich hastig, und ihre Nasenflügel zitterten.
    »Siehst du es denn nicht, Stan…?« Ihre Stimme war kaum noch hörbar. »Tu doch…«
    Ihre Augen waren angstvoll aufgerissen. Ihr Kopf sank langsam zur Seite.
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