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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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angelegt. Immer wenn ich spürte, daß ich den Mut verlor, oder einfach nicht mehr weiterwußte, sagte ich mir: ›Was hätte Eupolis getan?‹, und schon war alles kein Problem mehr.«
    Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. »Aber du hast hier mehr zustande gebracht, als ich jemals erreichte. Ich meine, das hier ist völlig außergewöhnlich. Wo hast du die vielen Leute hergekriegt?«
    »Welche Leute? Das habe ich alles allein gemacht. Natürlich wollte ich von dem Geld, das du mir geliehen hast, nicht mehr ausgeben als unbedingt nötig, weil es nach meiner ersten Weinernte mindestens ein Jahr dauern wird, bevor ich es dir zurückzahlen kann, und…«
    Den Gedanken, daß er sich auf dem Berg fast selbst umbrachte, nur um Geld zurückzuzahlen, das als Geschenk gemeint war – ich dachte, das hätte er begriffen –, konnte ich kaum ertragen. »Um Himmels willen, zerbrich dir darüber doch nicht den Kopf!«
    Er lächelte überglücklich, als wäre ihm ein Gott erschienen. »Das sieht dir ähnlich, Eupolis. Aber hierbei handelt es sich um eine Ehrenschuld. Also, wenn du kurz Zeit hast, würde ich gern deine Meinung über diese Spaliere hören. Meinst du, sie sollten noch eine Fingerlänge höher sein, oder sind sie schon zu hoch?«
    Ich rechnete schon fast damit, irgendwo auf dem Grundstück eine Stätte anzutreffen, die dem heiligen Eupolis geweiht war, und war schließlich froh, mich verabschieden zu können.
     
    Der kleine Zeus war zu jener Zeit nicht der einzige Mensch, der hart arbeitete, und mit der Rückkehr des Wohlstands kamen die athenischen Bürger allmählich wieder auf dumme Gedanken, insbesondere in bezug auf Sparta. So herrschte die allgemeine Ansicht, daß wir uns als Stadt und durch Nikias’ mangelndes Geschick von den Spartanern die Friedensbedingungen mehr oder weniger hatten diktieren lassen. Natürlich steckte weit mehr dahinter; tief im Innern war jeder einzelne davon überzeugt, Athen werde erst dann wirklich sicher sein, wenn Sparta nur noch ein Haufen Schutt und Asche und die Einwohner ausgerottet seien. Sollten wir Sparta allerdings tatsächlich zerstören wollen, gaben einige zu bedenken, dann brauchten wir die doppelte oder gar dreifache Menge an Schiffen, Geld und vor allem an Menschenpotential. Zunächst gelte es, das Reich zu vergrößern, was vor allen anderen Dingen Vorrang haben müsse. Im Osten war wenig Raum zur Expansion, obwohl manche Leute verstiegen davon sprachen, den Großkönig von Persien vom Thron zu stoßen und mit Hilfe von medischen und ägyptischen Truppen Sparta in Grund und Boden zu stampfen. Aber das war nur albernes Gerede; der persische König war viel zu mächtig, und außerdem brauchten wir Soldaten, auf die wir uns verlassen konnten, also Griechen. Deshalb richtete sich der Blick der Athener nach Westen, und zwar auf die griechischen Städte in Italien und Sizilien und noch weiter entfernt. Immer häufiger erinnerten sich die Menschen an die Berichte, die man von den Vätern gehört hatte; wie an die Geschichte über den Mann namens Kolaios, der beim Segeln nach Westen vom Kurs abgetrieben worden war und schließlich auf einem mit Silber vollbeladenen Schiff zurückkehrte, oder über die Goldenen Inseln am Ende der Welt, die in so weiter Ferne liegen, daß dort die Sonne im Osten untergeht. Es kursierten aber auch einleuchtendere Geschichten über den Reichtum im Westen; so gebe es nicht nur Getreide in Unmengen – obwohl die ganze Region unvergleichlich fruchtbar sei, baue man dort fast ausschließlich Weizen an –, sondern auch Metalle und Holz, Felle und Wolle, Gold, Silber, Bernstein und Edelsteine – eben alles, was der Osten zu bieten habe, aber bloß von ein paar fetten Griechen und verrohten Halbwilden bewacht. Wie es weiter hieß, könnten wir am besten von Italien aus das Land um Massilia erobern, wo es derart häufig regne, daß die Menschen Gräben anlegen würden, aber nicht etwa um das Wasser zu sammeln, sondern um es loszuwerden; und wir könnten nach Süden ziehen, nach Karthago und Kyrene, und hinunter in das heiße Land, wo die Menschen schwärzer als selbst die Libyer seien. Die Heraklessäulen seien nämlich gar nicht das Ende der Welt, wie uns unsere Väter gelehrt hatten; die Phöniker seien über sie hinausgefahren und hätten Zinn und Kupfer gefunden sowie riesige Tiere mit dicken, zur Herstellung von Schilden geeigneten Häuten. Sobald wir erst einmal einen gesicherten Stützpunkt eingerichtet hätten, würden uns
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