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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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Fünfhundert-Scheffel-Grenze brachten. Den Großteil meines Vermögens habe ich somit der Pest oder dem Krieg zu verdanken und ihn mir dennoch ehrlich erworben. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nie so nach Geld und Reichtum gestrebt habe wie andere Menschen – ich habe einfach weitergelebt, und die Götter haben mich mit Blumen bekränzt. Da ich jedoch nicht reich geboren bin, habe ich nie den Drang verspürt, noch reicher zu werden. Meine Versuche, den Ertrag meines Landes zu steigern, entsprangen eher einem natürlichen Trieb als irgend etwas anderem. Schließlich bin ich weder ein Korinther, noch liebe ich Persien oder brauche Geld für eine politische Laufbahn – ich wünsche mir eben nicht allzu viel, das man für Geld kaufen kann.
    Schließlich und endlich hatte Athen die Folgen der Pest hinter sich gelassen. Das Tributgeld vom Bund traf jedes Jahr pünktlich ein – und jedesmal begab ich mich in die Stadt, um die Tributlisten zu lesen, wobei ich an das kleine Heiligtum auf Samos dachte –, während die direkt in Attika erzeugten Agrarprodukte, obwohl noch immer unter dem Stand der Vorkriegsproduktion, uns nach den Kriegsjahren wie eine unerwartete Zugabe vorkamen. Kluge Köpfe behaupteten, der Boden habe nach Jahren der viel zu intensiven Nutzung diese ausgiebige Erholungspause, wie sie ihm die Spartaner unbeabsichtigt gewährt hatten, dringend gebraucht. In einigen Gegenden des Landes war die Rede von Erträgen mit mehr als hundert Litern Wein pro Morgen, was man seit den Zeiten des Tyrannen Peisistratos nicht mehr gehört hatte, und kaum trugen die jungen Reben, die wir täglich als Ersatz für die von den Spartanern herausgerissenen Weinstöcke gesetzt hatten, die ersten Früchte, erwarteten wir alle, reich wie Könige zu werden. Allerdings erwartete niemand von uns, noch zu Lebzeiten etwas von den Erträgen der frisch gepflanzten Olivenbäume zu haben, da in Attika ein Baum fast eine Generation braucht, um von Nutzen zu sein.
    Dabei fällt mir etwas ein: Um die Geburt meines Sohns zu feiern und den kleinen Zeus ein für allemal loszuwerden, erfüllte ich meinen Eid ihm gegenüber und bepflanzte sein Land mit den besten Weinstöcken. Seit Kriegsende hatte ich das zwar immer wieder vorgehabt, aber erst hatte es um seine Ländereien einen Prozeß gegeben – woraufhin ich dem kleinen Zeus einige gute Gerichtsreden schrieb, (damit versuchte ich mich zum erstenmal an einer solchen Arbeit) –, der sich eine ganze Weile hingezogen hatte, und danach war ich mit einem Stück beschäftigt gewesen. Als nächstes kamen damals zwei Brüder des kleinen Zeus auf dem Meer ums Leben, und da keiner von beiden Kinder hatte, gab es weitere Prozesse. Schließlich war alles geklärt, und der kleine Zeus war zum Eigentümer von fast fünfundzwanzig Morgen gutem, aber unbewachsenem Boden geworden. Ich bepflanzte ihm das ganze Land, wofür der Mann so dankbar war, daß es an Peinlichkeit grenzte, lieh ihm genügend Geld, damit er bis zur ersten Weinernte sorglos über die Runden käme, ließ mir von ihm versprechen, sofort zu mir zu kommen, falls er Hilfe brauche, und wünschte ihm viel Glück. Als ich das nächstemal an seinem Besitz vorbeikam, war ich über die enorme Veränderung erstaunt. Was einst ein nutzloser, vom Berghang herabtröpfelnder kleiner Bach gewesen war, war zu einem musterhaften Bewässerungskanal verwandelt worden, von dessen Nebenarmen das ganze Grundstück durchzogen wurde. Jede einzelne Rebe war sorgfältig abgestützt und fachkundig beschnitten und jeder Zentimeter Boden zwischen den Gräben für Gerste umgepflügt worden. Nirgends war auch nur ein Stein zu entdecken, und hinter einer aufwendigen, halbfertigen Mauer hörte ich eine unverkennbar laute Stimme den Auftritt des Chors aus Aischylos’ Persern vortragen. Ich rief seinen Namen, und der kleine Zeus, der größer aussah als je zuvor, kam herübergelaufen.
    »Ich glaube nicht, daß ich schon mal einen so beeindruckenden Weingarten gesehen habe«, begrüßte ich ihn erfreut.
    Der kleine Zeus nickte begeistert und entgegnete: »Ich weiß, das hier ist der schönste in ganz Attika. Aber das ist noch nicht alles.« Er deutete auf einen Berghang. »Dahinten habe ich zwei weitere Morgen erworben, Ödland, das keiner bebaut hat.«
    Ich machte große Augen. »Aber da ist ja nichts als nackter Fels.«
    »Na und? Du hast mich darauf gebracht«, entgegnete er. »Alles, was ich hier tue, habe ich nach diesem Vorbild in Pallene und Phrearrhos
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