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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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bist alles, was ich verdiene«, entgegnete ich, wobei ich mich neben sie setzte. Ich wollte ihre Hand nehmen, aber davor hatte ich Angst. »Hör mir bitte einen Augenblick zu, ja? Du kennst doch die Geschichte von dem ersten Mann, der, nachdem ihn die Götter geschaffen hatten, so glücklich und zufrieden war, daß sie fürchteten, er werde sie nicht mehr brauchen, weshalb sie sich entfernten und die erste Frau schufen. Also, ich glaube, die Götter haben uns dazu gebracht zu heiraten, damit wir jeder jemanden haben, den wir statt uns selbst hassen können. Uns beide haben sie sogar eigens mit schiefen Gesichter ausgestattet, weil sie sichergehen wollten, daß wir nie mit jemand anderem durchbrennen. Darum glaube ich…«
    »Ach, jetzt hör mal auf damit«, unterbrach mich Phaidra. »Von diesem ganzen Gejammer kriege ich nur Kopfschmerzen.« Sie warf mir einen Blick zu, den ich nie vergessen werde; Verachtung, Mitleid und noch etwas anderes, wodurch sie schöner als je zuvor aussah. »Du weißt nie, wann du mit dem Reden aufhören mußt, was?«
    »Also willst du mich zurückhaben?«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, dich als erste rausgeworfen zu haben«, antwortete sie. »Schließlich bist du es gewesen, der nach Pallene spazierte und lieber Löcher in die Berge grub, als mit seiner Frau zu schlafen. Du bist es gewesen, der mich in unserer Hochzeitsnacht nicht anrühren wollte. Und soweit ich mich erinnern kann, bist du es auch gewesen, der nicht einmal kommen wollte, um sein eigenes Kind zu sehen.« Sie schüttelte betrübt den Kopf und seufzte: »Ach, Eupolis, warum bist du nur solch ein furchtbarer Dummkopf?«
    »Weil dein Vater keinen geeigneten Ehemann für dich finden konnte«, antwortete ich. »Erinnerst du dich nicht?«
    »Ach, komm her«, sagte sie sanft. »Nein, nicht so, wenn mein Onkel an der Tür lauscht und mein Gesicht voller Knochensplitter ist. Komm einfach her.«
    Am nächsten Tag fuhren wir in Parmenides’ Karren in die Stadt zurück, und den ganzen Weg über stritten wir uns.

14. KAPITEL

     
    Mein Sohn Eutychides (›Sohn eines glücklichen Mannes‹ – Phaidras Idee) wurde gut neun Monate später geboren, und zwar im selben Jahr, da Alkibiades zum zweitenmal zum Heerführer gewählt wurde. Er war ein kränkliches kleines Kind, obwohl er nicht das idiotische Grinsen seiner Eltern geerbt hatte, und niemand rechnete damit, daß er länger als eine Woche leben würde. Aber er schaffte es, und kaum sah er kräftig genug aus, um durchzuhalten, besorgten wir ihm die beste Amme, die man für Geld bekam.
    Natürlich stritten sich Phaidra und ich seit dem Tag, da Eutychides geboren wurde, erbittert über ihn. Ich war unbedingt dafür, daß er wie sein Vater auf dem Land aufwuchs, zwischen Ziegen und Olivenbäumen, weit weg von den Marotten und Modeströmungen der Stadt. Mein Argument war, er könne auf diese Weise später selbst entscheiden, ob er in Athen wohnen und am Stadtleben teilnehmen wolle, zumal ein Mensch, der in der Stadt aufgewachsen sei, sich auf dem Land nie richtig zu Hause fühle. Er habe nie gelernt, Augen und Ohren zu benutzen, und wisse auch seine Nachbarn nie richtig zu schätzen. Doch Phaidra entgegnete, ich könne tun, was ich wolle, ihr Sohn werde auf jeden Fall als Reiter aufgezogen, mit einer ordentlichen Erziehung in höflichem Umgang, um eines Tages Heerführer zu werden. Wir schlossen einen Kompromiß: Sie sollte ihren Willen haben und als Gegenleistung mich deswegen nicht anschreien. Wie Sie sich denken können, fiel seine Erziehung in Wirklichkeit dann ganz anders aus.
    Nun, einerseits hatten wir mit Sparta theoretisch immer noch Frieden, andererseits lagen wir mit allen anderen anscheinend im Krieg. Dabei handelte es sich allerdings um jene Art von Krieg, die niemandem sonderlich weh zu tun schien – das heißt, er spielte sich gänzlich außerhalb Attikas ab, so daß wir in Ruhe und Frieden das Land bebauen konnten, während es für jedermann, der sie brauchte, Arbeit in Hülle und Fülle gab, insbesondere für die Flotte. Immer noch wurde jedes Jahr die staatliche Begräbnisfeier für die schwerbewaffneten Fußsoldaten abgehalten, die im Einsatz gefallen waren, und genauso regelmäßig verlor ich zum wiederholten Male fünfzehn oder gar zwanzig Männer, die ich inzwischen als Freunde betrachtet hatte. Auf der anderen Seite erbte ich als nächster noch lebende Erbe irgendeines toten Vetters weitere dreißig Morgen Land, die mich einmal gefährlich nahe an die
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