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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Autoren: Inez Corbi
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1.
    Kaiser-Wilhelms-Land, Neuguinea, 1890
    Conrad hatte ihr nicht zu viel versprochen. Dieses Fleckchen Erde war das Paradies, wenn auch auf eine wilde, ungezähmte Art. In der Morgendämmerung, die den Himmel wie mit feuerfarbenen Pinselstrichen überzog, hielt Isabel sich an der Reling fest und starrte hinüber auf die Spitze der Halbinsel, die die Ottilie jetzt ansteuerte. Hinter einem schmalen Uferstreifen stiegen in langen Ketten gewaltige Gebirge auf. Düster, majestätisch, erhaben. Das war also Kaiser-Wilhelms-Land, von manchen auch Deutsch-Papua genannt. Die zweitgrößte Insel der Welt, nördlich von Australien gelegen. Seit hier vor sechs Jahren die deutsche Flagge gehisst worden war, gehörte der nordöstliche Teil Neuguineas zur deutschen Südsee. Ein Platz an der Sonne, wie der Kaiser es nannte. Und sonnig war es in der Tat. Sonnig, heiß und unglaublich schwül. Keine noch so leichte Brise wehte über das Wasser. Selbst jetzt, am frühen Vormittag, fühlte Isabel sich bereits wieder klebrig und verschwitzt, dabei hatte sie sich doch erst vor wenigen Minuten in ihrer Kabine gewaschen.
    Sechs Wochen war sie unterwegs gewesen. Die meisten Passagiere waren in Soerabaya auf Java von Bord gegangen, um von dort nach Australien zu reisen. Auch Isabel hatte die Reise dort einen Tag unterbrechen müssen, bevor sie auf die Ottilie hatte wechseln können.
    Die See war ruhig, die Sonne glitzerte auf dem Meer wie von tausend Diamanten und stach in den Augen. Isabel beobachtete einen Vogel, der mit kräftigen Flügelschlägen knapp über der Wasseroberfläche dahinflog. Dann wandte sie sich ab und zog die hinaufgerutschten Ärmel ihrer leichten Bluse wieder hinunter. Jetzt, da sie das Ziel ihrer weiten Reise fast erreicht hatte, überfiel sie die lange unterdrückte Angst erneut. Was, wenn Conrad doch nicht so freundlich wäre, wie er in seinen Briefen klang? Wenn sie ihm nicht gefallen würde? Wenn ihr schwaches Bein ihn doch abstoßen würde? Nein, versuchte sie sich selbst Mut zu machen. Das würde nicht passieren. Auch wenn sie ihren Verlobten noch nie gesehen hatte – aus seinen Briefen hatte stets so viel Wärme, so viel Verständnis gesprochen. Er würde sie mit offenen Armen hier aufnehmen, ganz so, wie er es immer wieder geschrieben hatte. Und in wenigen Tagen würde sie nicht mehr Fräulein Maritz, sondern Frau Conrad Felby, Missionarsfrau, sein.
    Sie griff nach ihrer aufwendig mit gestickten Rosen verzierten Handtasche und zog den Umschlag heraus, der sie kurz vor ihrer Abreise aus Zirndorf erreicht hatte. Neben einem Brief enthielt er auch eine schwarzweiße Photographie von Conrad, die er noch in Deutschland hatte anfertigen lassen. Sie zeigte einen jungen Mann von Ende zwanzig, mit ebenmäßigen Zügen, den Blick entschlossen in die Ferne gerichtet. Er trug den strengen schwarzen Lutherrock der evangelischen Pastoren, die vollen Haare waren zurückgekämmt, und ein dunkler, leicht gekräuselter Bart umrahmte wie ein Kranz das stille, ernste Gesicht. Ein hübsches Gesicht, wie Isabel fand.
    Ein letzter Blick noch, dann steckte sie die Photographie sorgfältig wieder in ihre Handtasche. Die Küste war nun ganz nah. Ein Strand, an dem ein paar Palmen wuchsen. Eine Ansammlung einfacher, auf Pfählen errichteter Hütten, daneben einige dunkelhäutige Männer, die ein Kanu mit einem seitlichen Ausleger ins Wasser zogen. Isabel hob den Arm und winkte zaghaft. Sie senkte ihn wieder, als keiner der Männer ihren Gruß erwiderte, und ihre Beklommenheit wuchs. Ob das ein schlechtes Omen war?
    Ein hölzerner Landungssteg, der auf Stelzen ins Hafenbecken ragte, kam in Sicht, dahinter erkannte sie ein paar einfache Bretterhütten. Eine kleine Straße verlor sich zwischen den Büschen und Palmen am Strand. Isabel konnte einige helle Dächer durch das allgegenwärtige Grün leuchten sehen – wahrscheinlich Finschhafen, der Hauptsitz der Verwaltung von Kaiser-Wilhelms-Land und das Ende ihrer Reise.
    Ihr Herz schlug schneller. Bald würde sie von Bord gehen und ihrem Conrad zum ersten Mal leibhaftig gegenüberstehen. Ihre Hände wurden feucht, und sie wischte sie an ihrer Bluse ab, unter der das Korsett plötzlich viel zu eng schien.
    Sie spürte den Schiffskörper erzittern wie vom Fieber geschüttelt, die Schiffsschraube sirrte unangenehm, als der Dampfer die Fahrt verlangsamte. Das türkisfarbene Wasser sprudelte und schäumte weiß, die Turbinen röhrten. Eine Schar bunter Vögel flatterte kreischend auf; Isabel
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