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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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Schritten, als ginge ich auf Eis, bewegte ich mich zu einem Stuhl neben dem Bett hinüber und setzte mich darauf.
    »Hallo, Phaidra«, sagte ich.
    Vor Schreck schoß sie etwa die Schrittweite eines Mannes auf der Stelle in die Höhe, fuhr herum und starrte mich entsetzt an.
    »Du hast das Fenster offengelassen«, klärte ich sie auf. »Leonidas wäre das nicht passiert und Demosthenes schon gar nicht. Du läßt nach.«
    Ich stand auf, trat ans Fenster und schloß und verriegelte die Läden, da ich keinerlei Unterbrechungen wollte.
    »Na, mach schon«, forderte sie mich auf, wobei ihre Stimme schleppend und schmerzverzerrt klang. »Sieh es dir gut an.« Sie streckte mir ihr Gesicht entgegen, als wäre sie ein Soldat beim Appell, der seinen Schild zur Untersuchung vorzeigt.
    Ich brauchte keine Einladung. Wegen der blauen Flecken sah es viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war, doch erkannte ich auch so, daß es eine jener Verunstaltungen war, die ein ganzes Leben zerstören können, besonders in Athen, wo wir von Schönheit besessen sind. Aber ich bin stolz, sagen zu können, daß ich nicht schauderte oder in meinen Umhang spuckte, um das Glück zu beschwören.
    Statt dessen erhob ich mich, streckte ihr mein eigenes Gesicht entgegen, und sagte: »Anscheinend ist an der Behauptung was dran, daß sich Mann und Frau mit der Zeit immer ähnlicher sehen, wie? Jedenfalls tut es mir leid, daß dir das passieren mußte.« Dann holte ich das Halsband hinter meinem Gürtel hervor, legte es ihr um den Hals und küßte sie.
    »Narr«, flüsterte sie verlegen. »Was soll das, sich so an mich heranzuschleichen?«
    Ich legte meine Arme um ihre Taille und log: »Du hast zugenommen.«
    »Nein, das habe ich nicht!« widersprach sie. »Und nimm gefälligst deine Hände von mir weg.«
    »Tut es weh?« fragte ich.
    »Ja, und dein letztes Stück war bisher das schlechteste von allen. Ich habe mich so geschämt, daß ich tagelang nicht vor die Tür gegangen bin.«
    »Und was hast du die ganze Zeit über getan?« fragte ich. »Bist du drinnen geblieben und hast das Trinken nachgeholt?«
    »Wer sagt denn, daß ich mir bei dem bißchen Geld, das du mir schickst, Wein überhaupt leisten kann?« Sie versuchte zu lächeln, aber es verursachte ihr zuviel Schmerzen. »Sieht es sehr schlimm aus?«
    »Nein.«
    »Lügner.«
    »Du siehst aus wie Medusa. Sowohl bevor als auch nachdem sie verwandelt wurde.«
    Selbst Phaidra fiel darauf keine Antwort ein, darum blickte sie verlegen auf das Halsband und strich darüber. Es war das kostbarste Geschenk, das ich ihr jemals gemacht hatte.
    »Wo hast du diesen Ramsch her?« wollte sie wissen.
    »Falls du erwartest, daß ich mich damit in der Öffentlichkeit zeige, irrst du dich aber gewaltig.«
    »Du kannst mich mal«, erwiderte ich.
    »Und was fällt dir eigentlich ein, gegenüber meinem Onkel so unhöflich zu sein?«
    »Der kann mich auch mal.«
    »Wie ich annehme, werde ich mich wohl damit abfinden müssen, daß du mir von nun an den ganzen Tag wieder im Weg stehst«, flüsterte sie. »Ganz zu schweigen von deinen widerlichen Freunden.«
    »Für mich wird es genauso schlimm, wenn ich nach Hause komme und deine Liebhaber aus ihrem Versteck unter dem…«
    Das waren die falschen Worte. »Das ist ja wohl kaum zu erwarten, nicht wahr?« unterbrach sie mich und zog sich von mir zurück. »Es sei denn, ich gehe nur noch mit Blinden ins Bett.«
    »Entschuldige, Phaidra, ich habe nicht nachgedacht.«
    Sie versuchte zu lachen. »Was ist los, Eupolis? Hast du deine Schlagfertigkeit verloren, oder bist du jetzt im Theater so wichtig, daß du nicht mal mehr eine geistreiche Beleidigung für deine arme, häßliche Frau übrig hast? Sag bloß nicht, daß dir zu guter Letzt die Witze ausgehen.«
    »Du kennst mich genau, Phaidra«, erwiderte ich, »Eupolis, kein Kind von Traurigkeit. Immer lustig, der junge Eupolis, insbesondere, wenn man ihm kräftig genug in den Hintern tritt.«
    Sie setzte sich aufs Bett und nahm das Halsband ab. Zunächst dachte ich, sie wolle es auf den Boden werfen, doch sie saß einfach da und hielt es in den Händen, als wäre es ein toter Vogel. »Was willst du bloß von mir?« fragte sie schließlich.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
    »Na ja, viel kann es nicht sein, stimmt’s? Schau mich an, ja? Ich bin eine häßliche Frau mit einem toten Kind, und selbst du wirst meinen Anblick nicht lange ertragen können. Ich kann für dich die Diebe abschrecken, aber nicht viel mehr.«
    »Du
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