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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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mit tiefen Rissen in den Wänden und verunsicherte Menschen, die Interviews gaben. Ein Erdbeben der Stärke 5,4 auf der Richterskala hatte das südliche Zentralgriechenland erschüttert und einige Häuser zum Einsturz gebracht, aber es waren keine Menschen zu Tode gekommen.
    Noch nicht.
    Julius stützte sein Kinn in die Hand und betrachtete gedankenverloren die wechselnden Bilder im Fernseher.
    »Es hat wieder angefangen. Die alten Feinde sind erwacht. Also streng dich an, meine Kleine. Es wird nicht einfach werden, aber du wirst jemanden kennenlernen, dem du vertrauen kannst. Und es wird einen geben, der dich verraten wird. Wähle gut, meine Kleine. Wähle richtig …«

2
    Athen
    Es war ein Mittwochnachmittag, als ein Mann in anthrazitfarbenem Business-Anzug und handgefertigten JohnLobb-Schuhen auf dem Athener Flughafen Eleftherios Venizelos ankam und gelangweilt in der Times las, während er in einer langen Menschenschlange vor der Zollabfertigung stand und warten musste.
    In dem Hartschalenkoffer neben ihm würden die Zollbeamten nur die besten Hemden und Hosen aus der Londoner St. James Street finden und einige Unterlagen, darunter drei Zeitschriften über archaische Keramik und einen schmalen Museumsführer über Delphi, was sie nicht aus der Fassung bringen würde.
    Myles Fenton kannte eben bessere Wege, um Kunstwerke und Artefakte aus Griechenland herauszuschmuggeln, und er hatte seine Leute dafür. Es war wirklich kinderleicht. Die Landwege waren zwar langwierig, aber dafür am billigsten. Eine kleine Geldsumme und ein paar Scheine, und schon durfte man passieren, egal, was man im Gepäck hatte.
    Aber auch der Seeweg war einfach, denn die Stichproben der Zollbeamten waren bei großen Containerschiffen meistens vergeblich. Außerdem suchten sie hauptsächlich nach Drogen, sodass die Spürhunde sich nicht für die doppelte Rückseite eines Containers interessierten, hinter der nur Stroh und eine Marmorstatue lagen.
    Schon oft hatte er das gewünschte Objekt für seinen Auftraggeber und Ziehvater gefunden und es nach England gebracht. Er war darin sehr gut und zuverlässig, fand er. Auch diesmal würde es wieder relativ einfach werden, denn seine Kontaktperson in Delphi konnte ihm die seltene Kleophrades-Kylix jederzeit besorgen. Allerdings war sie in mehrere Teile zersprungen und musste erst noch wieder zusammengesetzt werden, denn Lord Durnham verlangte nach einem vollständigen Stück.
    »Es darf keine einzige Scherbe daran fehlen«, hatte der alte Lord mit seiner leisen, drohenden Stimme gesagt, »sonst ist die Kylix für mich und meine Zwecke nutzlos.«
    Fenton atmete unbewusst einmal tief durch, während er in der Zeitung weiterlas, doch seine Gedanken waren nicht bei dem Artikel, den er gerade vor Augen hatte, sondern immer noch bei seinem undurchschaubaren Auftraggeber, der auf einem alten Landsitz in East Anglia lebte. Er war ein alter Mann mit länglichem, vertrocknetem Gesicht und tiefen Falten, der einen zerbrechlichen Eindruck machte, aber dessen Wille ihm manchmal geradezu übernatürliche Kräfte zu geben schien. Ein Greis, von dem man meinte, ihn mit einem Finger umstoßen zu können, und trotzdem bekam Fenton immer eine Gänsehaut, wenn er vor ihm stand und ihm Bericht erstatten musste.
    Lord Durnham strahlte etwas Unheimliches aus, als wäre er unbesiegbar und als ob selbst der Tod ihm nichts anhaben könnte. Wie alt mochte er sein? Durnham war schwer zu schätzen. Vielleicht Anfang achtzig, aber Fenton wusste, dass sein Mentor in Wirklichkeit viel älter war.
    Fenton selbst war vor dreiunddreißig Jahren im Nachbarort geboren worden, und merkwürdigerweise hatte er das Gefühl, dass der Lord seitdem nicht gealtert war. Er sah immer noch so aus wie zu Fentons Kindertagen. Es war wirklich unheimlich. Und auch die Bewohner des nahen Dorfes trauten sich nie über das Geheimnis des ungewöhnlichen Alten zu reden. Der Mann war tabu. Jeder fürchtete seine geheimnisvolle Macht.
    Außer ihm, Myles Fenton.
    Lord Durnham hatte ihn geradezu adoptiert und ihn zu seiner rechten Hand gemacht. Er wusste, dass der Alte ihm wie einem eigenen Sohn vertraute, und darauf war er unglaublich stolz. Er selbst hatte keine Eltern, sondern war im Dorf bei Pflegeeltern aufgewachsen, bis sich der alte Lord seiner angenommen und für seine Ausbildung gesorgt hatte. Er hatte Durnham alles zu verdanken – sein Entkommen aus der grauen Provinz und seinen Einstieg in die große Finanzwelt durch ihn als Protegé.
    Myles
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