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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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könne ein Buch auch in New York schreiben.«
    »Da hat er sicher Recht, aber man kann nicht alles in New York recherchieren. Man muss auch mal vor Ort Dinge überprüfen. Und darum geht es ja hauptsächlich bei deinen Aufträgen.«
    »Ich weiß. Kay hat mich übrigens auch vor deinen Aufträgen gewarnt.«
    Julius nickte bedächtig. »Ja, ja. Dein Bruder sagt mir auch gern, dass ich dich doch lieber nur einfache Zeitschriftenartikel übersetzen lassen solle, anstatt dich in die Welt hinauszuschicken. Merkwürdig, alle tun immer so, als würde ich Unmögliches von dir verlangen. Dabei entscheidest du doch selbst, ob du den Auftrag annimmst oder nicht. Und ich sage es dir jedes Mal – wenn du nicht willst, dann mach es nicht.« Er sah sie eindringlich an. »Aber glaube mir eins, ich gebe dir nicht jeden x-beliebigen Auftrag. Die Bücher und die Recherchen sind wichtig – für dich, für mich, für viele Leute.« In Wirklichkeit ahnst du gar nicht, wie wichtig sie sind, dachte er, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Bist du bereit für ein neues Buch?«
    Die Frage war wie ein Zauberspruch für Karen. »Deswegen bin ich hier.«
    »Gut.« Julius griff bedächtig nach seinem ägyptischen Skarabäus, der auf dem Schreibtisch immer neben dem Familienfoto stand, und streichelte ihn. Die Berührung des alten Alabasters beruhigte ihn meistens. Diesmal nicht. »Ich möchte, dass du nach Griechenland reist.«
    Karen war leicht überrascht. »Griechenland? Ja, gern. Und wohin genau?«
    »Nach Attika und Phokis. Ich will, dass du eine Monographie über das Orakel von Delphi schreibst.«
    »Delphi. Das Apollon-Orakel? Wie schön, das gefällt mir.« Doch dann fragte sie argwöhnisch: »Wieso Griechenland? Wie kommst du ausgerechnet auf dieses Thema?«
    Julius streichelte wieder seinen Skarabäus. »Delphi hat dich doch schon immer fasziniert, oder nicht? Hast du nicht als Kind die Pythia auf dem Dreifuß-Hocker gespielt und anderen ihre Zensuren in der nächsten Klassenarbeit vorhergesagt?«
    Karen musste lachen, als sie sich an ihre Kinderspiele erinnerte. »Nein, ich war immer eine Zigeunerin, die anderen die Zukunft vorhersagte, aber die Pythia bin ich nie gewesen, Julius. Das musst du verwechseln.«
    Er lächelte milde und betrachtete mit Genugtuung den goldenen ägyptischen Maat-Anhänger an ihrem Hals. Behutsam stellte Julius den Skarabäus neben das eingerahmte Familienfoto zurück und öffnete eine Schublade seines Tisches, um eine dünne Aktenmappe und ein Taschenbuch herauszunehmen.
    »Wenn es dich also wirklich interessiert, hätte ich hier einige Unterlagen für dich.« Er reichte sie Karen, die sie entgegennahm und sofort den Titel des Buches las:
    Delphis Weihgaben. Geschenke an Apollon. Der Autor war ein Simon Delvaux. Und eine Mappe mit neueren Zeitungsartikeln über die aktuellen Ausgrabungen in Delphi sowie eine Liste mit wichtigen Adressen und Telefonnummern aus Delphi und Athen. »Nimm diesen Brief bitte auch mit. Étienne möchte, dass du ihn bei Prof. Laskaridis in der Athener Universität vorbeibringst. Er wird dir auch Zugang zu bestimmten Bereichen der Nationalbibliothek verschaffen können, wenn du das brauchst.«
    Er gab ihr einen länglichen Briefumschlag aus edlem Papier mit dem Emblem der Sorbonne, den Karen für einen kurzen Moment in Händen hielt und gedankenverloren betrachtete.
    »Wie geht es Monsieur Artois?«
    »Es geht ihm gut. Er lässt dich schön grüßen und wünscht dir alles Gute.«
    »Vielen Dank. Ihr habt also über mich geredet?«
    Julius biss sich auf die Zunge. »Seit er dich kennengelernt hat, hat er dich ins Herz geschlossen, meine Liebe. Er fragt immer nach dir, wenn wir miteinander reden.«
    »Das ist lieb von ihm. Bitte grüß ihn zurück.« Sie steckte den Brief und die Mappe in ihre große Arbeitstasche. »Wann geht’s los?«
    Julius sah auf einen Kalender rechts neben sich an der Wand. »Übermorgen, wenn du willst.«
    »Das wird gehen. So wie immer?«
    »So wie immer.« Er würde den Flug und die Unterkunft buchen.
    »Na, dann man los«, murmelte sie, griff nach ihrer Tasche und stand auf. Sie winkte ihm noch zu und ging dann zur Tür.
    Julius sah ihr mit einem langen, nachdenklichen Blick nach, als sie das Zimmer verließ, und griff dann nach einer Fernbedienung, mit der er einen kleinen Fernseher anschaltete. Er zappte zwischen mehreren Nachrichtensendern hin und her, aber überall waren dieselben Bilder zu sehen, weiße mediterrane Häuser
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