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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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einigen Supermärkten und Tabakläden sah Karen Leute reingehen und mit Einkaufstüten wieder rauskommen.
    Sie war schon einen Block weit gelaufen, als ihr Blick an einem Schild hängen blieb, das sie auf eine merkwürdige Art faszinierte und innehalten ließ – Greco-Antiquities.
    Im Schaufenster des griechischen Antikladens standen Statuen von Apollon, Athene, Poseidon, zwei Kopien des berühmten griechischen Bildhauers Myron … und eine Kylix. Karen war zwar sicher, dass es alles nur Nachbildungen waren, aber sie waren so perfekt gemacht, dass sie sich deren Zauber nicht entziehen konnte. Wie gebannt starrte sie auf die Kylix und betrachtete fasziniert die rotfigurige Malerei, die den Kampf zwischen Apollon und Herakles um den delphischen Dreifuß darstellte.
    Währenddessen stand auf der anderen Straßenseite ein Mann im Halbdunkel einer Straßenecke, der gerade eine Zigarette aus einem mit einem Wappen bedeckten Etui nahm und sie sich mit einem goldenen Feuerzeug anzündete. Seine schwarzen John-Lobb-Schuhe glänzten im Licht einer nahen Straßenlaterne, während sein Oberkörper vom Schatten einer Markise verdeckt wurde. Nur das rote Glimmen der Zigarette war zu sehen, wenn er ab und zu einen tiefen Zug nahm.
    Myles Fenton beobachtete Karen schon seit einer Weile.
    Mit uns ist es lange noch nicht vorbei, Sweetheart, dachte er und warf die bis zur Hälfte gerauchte Zigarette neben sich auf die Straße und zerquetschte sie genüsslich mit dem Absatz seines rechten Schuhs.
    Mit uns ist es lange noch nicht vorbei. Wir werden uns wiedersehen, meine Liebe. Das verspreche ich dir …

Epilog
    Delphi, Gegenwart
    In Delphi dämmerte der Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen sich sanft über den Golf von Korinth erhoben und den Rhodini-Felsen der Phädriaden zuerst in ein leuchtendes Rot tauchten, das sich dann allmählich in ein sanftes Rosa verwandelte und wenig später zu einem warmen Orange- und Goldton veränderte.
    Delphi, der Ort des Lichtes.
    Nikos und Selena standen auf dem Weg oberhalb des Amphitheaters und beobachteten, wie sich langsam der Nebel aus dem Pleistos-Tal verzog und allmählich Leben in die silbergrünen Baumkronen einkehrte. Zuerst hörte man nur vereinzelte Vogelrufe, doch dann gesellten sich immer mehr Vögel hinzu, und alle schienen sich fröhlich zuzujubeln.
    Seit einigen Tagen hatte es keine Erdstöße mehr gegeben, und alle Tiere schienen zu spüren, dass die größte Gefahr nun überwunden war. So auch zwei Adler, die lautlos über dem Tal ihre Bahnen zogen.
    »Zeus’ Adler«, flüsterte Nikos, der seinen linken Arm um Selena gelegt hatte und mit der rechten Hand auf die schwarzen Silhouetten deutete, die jetzt hoch über ihnen neben den steilen Felsen schwebten.
    »Seine Adler kommen zurück nach Delphi. Zum Nabel der Welt«, sagte Selena leise und lehnte sich gegen Nikos’ Schulter, der seinen Kopf senkte und Selena küsste. Er streichelte ihre Haare und den kleinen Jasminzweig, der keck hinter ihrem Ohr hervorschaute und ihn mit dem Duft seiner geöffneten Knospen betörte. Der uralte Jasminstrauch war in diesem Frühling wieder zum Leben erwacht und blühte mit tausend Blüten wie nie zuvor.
    Sein Leben hatte neu begonnen.
    Langsam schlenderten Nikos und Selena den schmalen Weg zum Camp zurück, während Nikos unbemerkt ein kleines zerfleddertes Büchlein aus der Gesäßtasche fiel und im Sand neben einigen alten Säulentrommelstücken liegen blieb.
    Ein einzelner Sonnenstrahl erfasste das Büchlein, und wie von Geisterhand blieb eine bestimmte Seite aufgeschlagen, auf der nur ein einzelner Spruch geschrieben stand:
    »Der Herr, dem das Orakel von Delphi gehört,
    erklärt nicht,
    verbirgt nicht,
    sondern deutet an.«

Glossar
    Adyton innerster allerheiligster Raum im Tempel
    Agora Markt- und Versammlungsplatz
    Alkmaoniden attisches Adelsgeschlecht, zeitweilig in Delphi im Exil, dort Bauunternehmer und Stifter bei der Erneuerung des 548/547 v. Chr. abgebrannten Tempels
    Amphore zweihenkliger Tonkrug
    Apollon Loxias Apollon der Schräge, der Vieldeutige
    Apollon Phoibus Apollon, Gott des Lichtes, der Reine, der Strahlende
    Athena Promachos Athena, die »Vorkämpferin«
    Cella fensterloser Hauptraum für den Kult in einem antiken Tempel, der sein Licht nur vom Eingang her empfängt
    Dreifuß dreifüßiger Untersatz für Geräte, insbesondere Kessel; in griechischen Heiligtümern häufig als Weihgeschenk dargebracht
    Galabiya langes hemdartiges Gewand ohne Kragen
    Glockenkrater großes
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