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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch
Autoren: Kathinka Wantula
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sondern uns vergeben. Möge unsere Schuld Vergangenheit sein. Für immer.«
    Über ihnen stand Mansfield im Schatten einer Pinie und sah zu Karen und Nikos hinunter, die dort eng umschlungen auf dem alten Marmor saßen. Plötzlich hörte er eine sanfte Frauenstimme hinter sich, die in gebrochenem Französisch nach ihm rief.
    »Komm, mon fils, setz dich zu mir.«
    Er drehte sich um und sah eine Frau Mitte fünfzig mit kurzen schwarzen Haaren, die einige Meter von ihm entfernt auf einer alten Holzbank Platz genommen hatte.
    Mansfield war eigentlich nicht in der Stimmung, mit dieser fremden Frau zu reden, aber sie hatte etwas Unnachgiebiges, etwas Forderndes an sich, das es ihm schwer machte, sie zu ignorieren. Also ging er zu ihr und setzte sich neben sie.
    Theophora betrachtete sein blasses Gesicht und lächelte, als sie dann zu Karen und Nikos hinübersah.
    »Du brauchst keine Angst zu haben, Mansfield. Sie liebt ihn nicht. Sie wird bei dir bleiben. Deine Gefühle und dein Verstand lassen sich von deinen Augen täuschen, es ist nicht, wie es scheint. Denn in Wirklichkeit nehmen die beiden voneinander Abschied.«
    »Abschied? Das ist aber ein sehr intensiver Abschied, so nah, wie sie sich sind.«
    »Stimmt. So nah waren sie sich bisher noch nicht. Nicht in diesem Leben …« Und mit einem sehr intensiven Blick in Mansfields Augen, der ihn tief in seiner Seele erreichte, fuhr sie fort: »Gerade du müsstest es doch wissen, wie es ist, wenn man im jetzigen Leben eine alte Seele wiedertrifft.« Und mit ruhiger Stimme erzählte Theophora Mansfield die Geschichte von Agapios und der Pythia und wie der bucklige Bruder sie verriet und die beiden zusammen mit ihrem Sohn die Felsen hinuntergestürzt wurden.
    Mansfield blickte zu Nikos und Karen hinüber und bekam bei dem Gedanken, wie sie beide vor langer Zeit zusammen den Tod gefunden hatten, eine Gänsehaut. Dieser schmächtige junge Mann mit dem Klumpfuß, der von den meisten Dorfbewohnern gehänselt wurde, soll also ein athenischer Archont gewesen sein?
    Theophora las die Zweifel in Mansfields Gesicht. »Du glaubst mir nicht?«
    »Doch. Ich … ich muss es nur erst noch begreifen.«
    Sie merkte, dass er wirklich versuchte es sich vorzustellen. »Bei dir und der Frau war es doch nicht viel anders.«
    Da musste er lächeln. »Ein bisschen anders war es schon. Und Simon?«
    »Der hübsche Simon war Kletos, der bucklige Bruder, der die beiden verraten hat.«
    »Aber warum ist man im einen Leben hübsch und ohne Makel und im anderen Leben behindert?«
    Theophoras Mundwinkel zuckten verdächtig. »Die Seele will nun mal viele unterschiedliche Erfahrungen machen. In einem Leben ist man reich, im anderen Leben ist man arm. In einem Leben lebt man im Überfluss, und im anderen verhungert man irgendwo auf der Flucht oder in einem Kerker.«
    »Aber warum hat Simon die beiden dann ein zweites Mal verraten? Warum wollte er sie ein zweites Mal töten?«
    Theophora hob kurz die Arme. »Ich glaube nicht, dass er das wollte. Ihm war nur die Kylix wichtig. Wenn Nikos sie nicht gestohlen hätte und er und Karen ihm nicht in den Weg gekommen wären, hätte er ihnen wahrscheinlich nichts getan. Im Gegenteil, er hat Karen sogar beim Erdbeben in den Felsen das Leben gerettet und somit seine alte Schuld ihr gegenüber beglichen.«
    »Und bei Nikos?«
    »Dadurch, dass Nikos Simon getötet hat, sind auch hier die Waagschalen wieder im Gleichgewicht. Ob ihre Seelen dadurch Ruhe finden, ist nicht gesagt, denn manche Seelen leiden, bekämpfen und lieben sich über mehrere Leben hinaus. Jede Seele entscheidet selbst, aber je weiser sie wird, desto mehr neigt sie zur Liebe und zur Vergebung.«
    Vergebung.
    Theophoras Worte hatten Mansfield in seinem Innersten berührt, und auf einmal spürte er eine unsagbare Erleichterung in seiner Brust. Er setzte sich gerade hin, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und atmete einmal tief durch, während Theophora weiterredete.
    »Karens Zukunft liegt nicht in diesem Land, und Nikos wird Griechenland nie verlassen. Also sei unbesorgt. Die beiden nehmen nur Abschied voneinander.«
    »Liegt Karens Zukunft in New York?«, wagte Mansfield zu fragen, doch Theophora blickte nur zum Amphitheater hinüber und lächelte geheimnisvoll.

65
    Im Plaza Hotel in Athen saß Myles Fenton in seiner Suite und rauchte nervös eine Zigarette. Er hatte gehört, dass es in Delphi Probleme gegeben hatte, und wartete ungeduldig auf Rigbys Anruf. Als das Telefon klingelte, war er mit
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