Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zungenkuesse mit Hyaenen

Zungenkuesse mit Hyaenen

Titel: Zungenkuesse mit Hyaenen
Autoren: Else Buschheuer
Vom Netzwerk:
TINGELTANGEL
    Rizz erlebe einen Jahrtausendwinter, stand im Mittagskurier . Und tatsächlich: Überall lagen Haufen schmutzigen Schnees, angeschmolzen, vereist, neu überschneit. Erfrorene Vögel fielen vom Himmel, Hunde schlotterten, Menschen schlitterten – manche hatten eingegipste Gliedmaßen. Als ich aus dem Taxi stieg, dämmerte es bereits. Eisregen schlug mir ins Gesicht, schon nach wenigen Schritten hing meine Unterlippe wie betäubt herunter, die Augen tränten, die Nase lief. Hier wehte eine andere Luft als zu Hause. »Sie erreichen Frau Puvogel unter folgender Mobilnummer«, hatte in der Annonce gestanden.
    Ich kämpfte mich im Gegenwind zur gläsernen Eingangstür des Gebäudes und erschrak. Mir im Weg stand ein blasser Junge mit vom Wind zurückgekämmtem dunkelblondem Haar, von dessen Nerdbrille der Regen tropfte, mit wollenem Mantel und weinrotem Strickschal. Der Junge blickte mich ängstlich an. Er hielt das Kinn gesenkt und sah aus, als würde er gleich nach Mama rufen.
    »Nicht so schüchtern, junger Mann!«
    Mein Spiegelbild verschwand. Eine Dame im Pelz hatte von innen die Tür geöffnet.
    »Sie sind doch sicher Herr Rothe?« Ich räusperte mich.
    »Ja. Wir hatten telefoniert. Guten Tag! Frau Puvogel?«
    »Leibhaftig! Wie war die Reise?«
    »Danke! Gut!«
    Wir traten ins Foyer. Sofort beschlug meine Brille. »Wem gehört denn das Haus?«, fragte ich und klopfte den Schnee vom Kragen.
    »Na, Frau Puh-Vogel«, rief sie und schlug sich auf den Pelz. Ichmusste niesen. Sie war nicht die Maklerin, sie war die Besitzerin. Umso besser.
    »Das ist aber auch ein Erkältungswetter«, sagte Frau Puvogel.
    »Ich bin nicht erkältet, ich habe eine Katzenallergie«, sagte ich, holte das blaue Fläschchen mit den Augentropfen aus meinem Mantel, blickte nach oben, träufelte und zeigte dann auf ihren Pelz.
    »Na hören Sie mal«, sagte Frau Puvogel, »von wegen Katze, das ist Feuerwiesel, hat ein halbes Vermögen gekostet.«
    Sie öffnete den Mantel, um mir das Etikett zu zeigen.
    »Moment!« Ich putzte meine Brille und konnte wieder sehen. Frau Puvogel trug einen Haarschnitt, der in Rizz en vogue zu sein schien. Ich hatte ihn schon am Bahnhof mehrfach gesichtet. Es handelte sich um eine Art Schichtfrisur, oben blond, unten schwarz. Die Frau war schillernd und leicht überpflegt. Sie hatte die Blüte ihrer Jahre überschritten, ich schätzte sie auf Mitte fünfzig. Aus ihrem Dekolleté quollen blau geäderte Brüste.
    Dem Fahrstuhl entstiegen zwei junge Männer in Matrosenhemden und engen Jeans. Sie trugen Plüschmäntel über den Schultern, unterhielten sich und musterten uns mit Kajalaugen. Frau Puvogel wendete sich angewidert ab. Wir stiegen ein und fuhren in Zeitlupe nach oben. In der Ecke neben der Tür hing eine Kamera. Der Fahrstuhl war voll verspiegelt. Ich sah Frau Puvogel, egal, wohin ich schaute. Neben ihr sah ich mich selbst, hochgewachsen und hager, feucht von schmelzendem Schnee, einen jungen Mann mit einem staunenden Kindergesicht.
    »Hui«, rief sie, doch mir war beklommen zumute. Die Himmelfahrt mit Frau Puvogel lieferte mich ihr ganz aus. Im Rückgrat des Wolkenkratzers glitten wir nach oben. Frau Puvogel dampfte in ihrem leicht aasig riechenden Feuerwieselpelz und schnatterte pausenlos. Im dritten Stock kannte ich alle Vorzüge des Leuchtturms (»ein Mekka für Hobbyfotografen«), im sechsten Stock referierte sie über die Jahreszeiten (»Heutzutage gibt es keinen Frühling mehr«), zwischen dem zwölften und dem vierzehnten Stock erläuterte sie mir die Wirtschaftslage (»Mit diesem Euro – das geht nicht mehr lange gut«), und als wir im zwanzigsten Stock ausstiegen, hatte ich das Gefühl, Frau Puvogel seit Jahren zu kennen.
    »Die Wohnung wäre ab April«, sagte sie, kramte in ihren Manteltaschen und zog einen monströsen Schlüsselbund heraus. »Es sind noch Möbel von der Vormieterin drin.«
    Frau Puvogel machte ein Gesicht, das Schlimmes verhieß. »Sie ist verSCHTORben. An ihrem dreißigsten Geburtstag! Schräckliche Sache. Felicitas Müller, haben Sie vielleicht in der Zeitung gelesen?«
    »Nein. Hier in der Wohnung?«
    »Momentchen«, murmelte Frau Puvogel, kramte wieder in ihren Manteltaschen und förderte ein zerknicktes Exemplar des Mittagskurier zutage. »Liebestod in Dingenskirchen?« stand dort in fetten Majuskeln. Darunter ein Foto. Ich sah Felicitas Müller zum ersten Mal. Und auch sie schien mich zu sehen. Frau Puvogel hatte endlich den richtigen Schlüssel gefunden und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher