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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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Deal.
    Schier endlose Sekunden stand Gossenglas einfach nur da, ihr papiernes Gesicht glatt vor Entsetzen, dann atmete sie aus. Sie fing an, suchend an sich herumzuklopfen. Sie steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, konnte jedoch keine Streichhölzer finden. Sie wirkte vollkommen verloren.
    Von einem merkwürdigen Mitleid ergriffen, pflückte Beth ein halb leeres Plastikfeuerzeug aus dem Müll und hielt die Flamme unter Gossenglas’ Lucky Strike. Dann wandte sie sich zum Gehen, hielt aber noch einmal inne. »Was war ihr Preis für dich, Glas?«, fragte sie leise. »Als du Fil zu dem gemacht hast, was er war – womit hat die Synode dich dafür bezahlen lassen?«
    Sie blickte über ihre Schulter auf die verfallende Frau.
    »Was bist du einmal gewesen?«
    Durch die Rauchschwaden sah Beth die Tränen aus saurer Milch, die das Papiergesicht dunkel färbten. Und darunter ein Lächeln, das sich an glücklichere Zeiten erinnerte.
    »Wunderschön«, sagte Gossenglas.

Kapitel 56
    Beth Bradley und der Straßenprinz an dem Tag, als sie auf dem Dach der Welt standen.
    Beths Zeichnungen von sich und Fil grinsten ihr von dem Metall entgegen. Über dem Porträt von ihr selbst prangte eine Signatur. Der Platz über seinem Gesicht war leer.
    Beth lehnte sich zurück, um einen prüfenden Blick auf ihre Schöpfung zu werfen. Das Ganze war noch immer kaum mehr als eine grobe Skizze, aber es nahm auf jeden Fall allmählich Formen an. Eine große dreidimensionale Karte bedeckte jetzt die die Rückenlehne des Throns: Straßen, Plätze, Parks, Einkaufszonen. St Paul’s, Big Ben, das Riesenrad: London, wie sie es sah, von hoch oben auf einem seiner höchsten Wolkenkratzer. Die Hochhauskrone spross aus der Mitte des Bankenviertels, getarnt als eine schlichte Gruppe weiterer anonymer Bürogebäude.
    Beths Spraydose klackte, als sie sie wieder in ihren Rucksack fallen ließ und nach dem Silber stöberte. Wenn sie fertig war, würde jedes Lampenvolklager, jedes Abrissfeld und jeder gottbesessene Kran auf dieser Karte markiert sein. Sie beschattete ihre Augen und orientierte sich kurz, dann begann sie eine Vielzahl von winzigen Straßenlaternen zu sprühen. Zuvor hatte sie schon das Mutternetz, den Funkturm im Süden hineingemalt.
    Gedenkstätte; Ehrenmal; Wandgemälde: Es war eine Einladung an jeden, der hier heraufkam, in ihre Fußstapfen zu treten und zu sehen, was sie gesehen hatte. Es war riskant, aber jemand, der schon verrückt genug war, um auf diesen Turm zu klettern, jemand, der der Karte genug zu trauen vermochte, um ihr zu folgen – nun, vielleicht war es das wert.
    Ein leichtes Kitzeln tief in ihrer Kehle war die einzige Warnung. Keine Sekunde später platzte ein heftiger, trockener Husten aus ihr heraus. Sie beugte sich vornüber, stemmte die Hände auf ihre Knie, bis sie sich schließlich wieder aufrichten konnte.
    »Test«, sagte sie zögernd, denn ihr war immer noch ein wenig schwindlig. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern: »Test, eins-zwei-drei.«
    Sie seufzte. Verschissen typisch: Ihre Stimme hatte beschlossen, genau dann zurückzukommen, wenn ein zweihundertdreißig Meter tiefer Abgrund sie von jedem möglichen Gesprächspartner trennte. Sie spähte hinüber zu dem Metallgeländer, das rund um das Pyramidendach lief, und nur für einen kurzen, wilden Moment überlegte sie, ob sie es überspringen und Hals über Kopf fünfzig Stockwerke nach unten kriechen sollte. Nach drei Wochen des Schweigens machte die Aussicht auf ein bisschen Smalltalk das Ganze beinahe der Mühe wert.
    Doch dazu war keine Zeit. Stattdessen hockte sie sich auf Mater Viaes überdimensionalen Thron. Die Voltspinnen sollten unter keinen Umständen auf die Idee kommen, sie würde ihre Versprechen nicht halten – Deals waren immerhin heilig. »Du könntest genauso gut mit dir selbst reden, B«, krächzte sie leise und ließ ihre Stimme um sie herum in der Luft hängen. Der Gedanke, dass sie womöglich vergessen hatte, wie sie sich anhörte, machte ihr Angst.
    »Salamander. Loop De Loop. Bling. Cockerspaniel. Superkalifragilistischexpiali-fucking-getisch.« Sie lächelte. »Mist, Kack, Scheißdreck, Schiss und Pisse.« Sie atmete heftig aus. »Liebe.«
    Sie betrachtete das Bild, das sie gezeichnet hatte.
    »Ich hab dich wirklich geliebt, du dreckiger kleiner Mistkerl«, sagte sie. Es erschien ihr wichtig, den Gedanken laut auszusprechen, sobald sie es konnte.
    Ein statisches Knistern schwirrte durch die Luft, und Beth seufzte
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