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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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sagte Gossenglas. »Sie werden eine Geschichte brauchen, die sie verstehen und akzeptieren können. Und dasselbe gilt für die Priester und die Gemäuermänner, sogar für das Spiegelvolk.« Ihre Stimme wurde ein wenig brüchig. »Sogar für mich.«
    Sie drehte sich um und sah Beth an. » Sei dieser jemand, Beth. Du bist ihre Verkörperung, du trägst den Speer. Du warst es, die den Großen Brand über den Krankönig gebracht hat. Bitte – « Ein wehklagendes Verlangen erschien auf ihrem Gesicht. »Gib uns die Göttin, die wir verdienen.«
    Beth erwiderte den Eierschalenblick. Sie sah Glas’ Aufrichtigkeit, bemerkte die Hoffnung in ihrer Stimme, leise, aber noch hörbar, wie die eines verirrten Kindes, das niemals zu glauben aufhört, dass seine Mutter es finden wird.
    Beth biss die Zähne zusammen. Mitgefühl flammte heiß in ihr auf wie ein Streichholz und erlosch genauso schnell wieder. »Du irrst dich«, sagte sie, »es war nicht die Herrin der Straßen, für die sie gekämpft haben, es waren die Straßen selbst. Diese Leute wollen keinen Gott mehr.«
    Gossenglas versuchte zu protestieren, stotterte und spuckte Abfallbrühe, doch Beth hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Weißt du, eine Sache hat mich die ganze Zeit über mächtig gestört. Wieso sollte Reach, nachdem er ihn fünfzehn Jahre lang ignoriert hat, Fil urplötzlich angreifen wollen – und wieso benutzt er dafür einen Gleisgeist ? Schließlich hatte er doch ein ganzes Wolfsrudel an den Auslegern seiner Kräne.«
    Voller Abscheu starrte sie Gossenglas an. »Dann ist mir klar geworden: Hinter alldem steckst du . Es waren deine Ratten, die irgendwas mit den Kabeln des Stromnetzes angestellt haben. Einen Skelettwolf konntest du nicht dressieren, also hast du ’nen Gleisgeist benutzt und die Hinweise auf den Schuldigen fein säuberlich vor die Tür von St Paul’s gelegt. Reach hätte nicht das geringste Interesse an Fil gehabt, nicht solange er keine Bedrohung war, also hast du ihn zu einer gemacht .«
    Beth verzog verächtlich den Mund. Ihr fiel wieder ein, was er ihr in der Nacht erzählt hatte, in der sie einander zum ersten Mal begegnet waren: Wenn was dermaßen Großes und Bösartiges aus der Dunkelheit auf dich zugeschossen kommt, fällt dir natürlich erst mal ein, das Teil mit was Scharfem abzustechen. Gossenglas hatte ihren Schützling gut gekannt.
    »Du hast einfach jeden manipuliert, der mir je was bedeutet hat. Diese Lüge, die deine Göttin erzählt hat? Du hast sie weitererzählt, wieder und wieder, und immer weiter, bis der Schmerz alles durchdrungen hatte.« Die Worte schmeckten bitter auf ihrer Zunge. »Mit dieser Lüge ist es vorbei, Glas. Die Leute müssen die Wahrheit erfahren.«
    Sie drehte sich um und stapfte den Hang der Deponie hinunter in Richtung Stadt. Nach wenigen Schritten krallte sich eine Hand aus Kugelschreibern in ihre Schulter.
    »Meinst du wirklich, dass sie dir glauben werden?«, zischte Gossenglas. »Wenn du diesen erbärmlichen Ersatz für einen Mythos wirklich verbreitest, kannst du dich begraben lassen. Ich mach dich zum Wechselbalg: das Mädchen, das ihren Gott getötet hat. Sogar die Straßen, auf denen du gehst , werden dich jagen.«
    Beth packte Gossenglas’ Handgelenk und riss die Hand von ihrer Schulter. Sie drückte zu und spürte, wie die Insekten unter ihren Fingern panisch davonstoben. Während sie es langsam zurückbog, drehte sie sich um. Sie starrte in die Eierschalenaugen und sah, dass alle Zuversicht daraus verschwunden war. Nur blanker, weißer Hass war geblieben.
    »Nicht ich werd’s denen sagen«, entgegnete Beth. » Du wirst das tun.« Sie zog ihre Kapuze zur Seite, um Glas die winzige Spinne zu zeigen, die glitzernd wie Glasfasern in ihrer Halsmulde saß. »Eigentlich hast du’s schon getan.«
    Gossenglas stieß einen erstickten Schrei aus und schlug nach dem zarten Geschöpf, doch mit einem kurzen Aufflackern aus Licht und statischem Knistern war es verschwunden. Seine Botschaft würde sich jetzt mit der Geschwindigkeit von Radiowellen kopieren und reproduzieren. Gossenglas’ Stimme, jene Stimme, die so lange Zeit irreführend für Londons Göttin gesprochen hatte, würde ihre Beichte an jeder Straßenecke ablegen. Beth spürte ein leises Triumphgefühl. Schon heute Abend würde ihre Stadt die Wahrheit kennen.
    »Komm zurück!«, rief Gossenglas dem kleinen Wesen nach. »Komm zurück, bitte ! Ich bezahle!« Doch es war zwecklos. Beth und die Spinne hatten bereits einen
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