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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Stamm getrennt zu sein, sich auf diesem Wege ganz lösen lasse. Er tat es mit einer herben Klarheit der Gedanken und Gefühle, die sich auf das Mögliche und auf die auch für einen Verbannten noch erreichbaren Lebenswerte richteten: aufrichtig und tapfer zu sein und von den Männern, die er würde achten können, geachtet zu werden.
    Auch Mattotaupa hatte in den Ruhestunden nachgedacht. Seine Gedanken hatten sich mit den Ereignissen kurz vor der Flucht aus dem Zirkus beschäftigt, und er fragte jetzt Harka: »Was hat Red Jim gegen dich?«
    »Warum? Weil er nach mir und nach meinem Pferd geschossen hat?«
    »Ja.«
    »Vielleicht war er nur zornig, weil er sah, daß wir siegen würden.«
    »Das war er. Aber nicht nur das.«
    »Ich habe ihm mit dem Beilwurf angst gemacht. Er glaubte nicht, daß ich einen solchen Wurf ausführen kann. Das nährte auch seinen Zorn.«
    »Mag sein. Aber ihr beide seid schon länger unfreundlich gegeneinander! Schon seit Omaha oder vielleicht schon seit unserem Zusammentreffen im Blockhaus.«
    »Denkst du? Es war schmutzig von Jim, daß er Weitfliegenden Vogel Gelbbart unsere Büffelröcke bezahlen ließ.«
    »Jim hat daran gedacht, daß wir sie brauchen, und Weitfliegender Vogel hat die Silberstücke dafür gegeben. War das nicht recht so?«
    »Red Jim hat auch mit der blonden Frau das Geld gestohlen.«
    »Harka! Jim ist ein kühner Mann. Er ist kein Dieb.« Mattotaupa war plötzlich heftig geworden. »Er war es, der mich im Blockhaus des zahnlosen Ben aus den Fesseln befreit hat!«
    Der Junge erwiderte darauf nichts mehr. Indianer wurden streng erzogen, keinem älteren Manne zu widersprechen. Aber Harka schwieg nicht nur, weil er dazu erzogen war, in einem solchen Falle zu verstummen. Er fühlte auch, daß der Vater kein abfälliges Urteil über Jim zu hören wünschte. Der Vater empfand eine schmerzliche Erbitterung, wenn Harka Schlechtes über einen Mann sagte, den Mattotaupa als einen guten Mann sehen wollte, weil Jim als guter Charakter eine weitere Bürgschaft für Mattotaupas Unschuld war.
    Da Jim aus dem Gesichtskreis der beiden Dakota verschwunden war, sprach auch Mattotaupa nicht weiter von ihm. Vielleicht glaubte er auch, daß Harka darum schwieg, weil die letzten Worte des Vaters ihn schnell überzeugt hatten. Hatte nicht Harka selbst bei den Zelten der Bärenbande den weißen Mann uneingeschränkt bewundert? War Jim im Blockhaus nicht wirklich Mattotaupas und damit auch Harkas Retter geworden?
    Die beiden Indianer wollten bis zum Abend noch ein gutes Stück reiten, und da es nichts weiter zu sagen oder zu tun gab, bestiegen sie die Pferde. Auf ihrer Flucht mit dem Großen Wolf zusammen hatten sie besonders an den ersten Tagen sehr weite Strecken zurückgelegt, und so gelangten sie jetzt schon in das Gebiet der Grassteppe nördlich des Missouri. Der Wind wehte schneidend. Über den Himmel zogen graue Wolken, und bald wirbelten weiße Graupeln und blieben in den Mähnen der Pferde, in den Haaren der Reiter hängen. Als es dunkelte, setzte Frost ein, und es begann eine der eisigen Frühlingsnächte dieser ungeschützten Regionen. Die beiden Indianer machten halt. Ein ganz kleiner Bach, noch halb gefroren, ein paar Sträucher, bei denen noch dürre Zweige lagen, alles dies von einer Bodenwelle gegen Wind und Graupeln etwas geschützt, eine solche Stelle war der beste Lagerplatz, der sich hier finden ließ.
    Die Mustangs legten sich zusammen nieder; sie hatten noch ihr Winterfell. Die zottigen langen Haare waren nicht schön, aber in der Kälte nützlich. Harka machte mit vieler Mühe ein kleines Feuer. Die beiden Menschen lagerten sich dann am Körper der Tiere, eng zusammen in die Büffelhautdecke eingeschlagen, und schliefen abwechselnd.
    Als die Wolken drei Stunden nach Mitternacht vom Winde vertrieben waren, machten sich die Reiter wieder auf. Die Pferde waren schon unruhig geworden, weil sie Wölfe witterten. Sie beeilten sich von selbst, vorwärts zu kommen.
    So lernten Mattotaupa und Harka unter Strapazen die Landstriche kennen, in denen sie künftig zu leben gedachten. Die Menschen aber, die sie dort finden würden, kannten sie bis zu diesem Tage noch nicht.
     
     
     
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