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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sie speiste. Dunst des Wassers, der Geruch von Wald und Wiesen, das Glitzern des Taus, die ersten Stimmen der Vögel vereinigten sich in einsamer Landschaft. In den Wipfeln knisterte noch das letzte dürre Laub vom vergangenen Herbst, während die Knospen schon aufsprangen. Verborgen vor allen Ansiedlungen, vor allen Fährtensuchern und allen Spürhunden saßen drei Menschen im Frühlicht beieinander. Ihre Pferde weideten. Jeder von ihnen aß eine Handvoll Fleisch. Nachdem sie miteinander gegessen hatten, nahmen sie Abschied voneinander.
    »Ihr seid Dakota!« sagte Großer Wolf zu seinen beiden Begleitern, »und du, Mattotaupa, hast uns wie ein Häuptling beraten und geführt. Gern würden unsere Männer dich bei ihren neuen Zelten im Norden begrüßen, du weißt es. Aber du hast nie zu uns darüber gesprochen, woher du kommst und wohin dich dein Weg führt. Ich will dich auch heute nicht danach fragen. Willst du nicht weiter mit mir reiten? Müssen wir scheiden?«
    »Ich höre die Worte, die du zu mir gesprochen hast, Großer Wolf. Mein Sohn Harka und ich, wir werden dich und eure Krieger nicht vergessen. Aber wir dürfen auch nicht mit euch gehen. Ihr seid Dakota.«
    Großer Wolf, der diese Antwort nicht verstehen konnte, aber wohl fühlte, daß sich ein schweres Geheimnis dahinter verbarg, nahm schweigend Abschied und lenkte sein Pferd nach Norden. Bald darauf schwangen sich auch Mattotaupa und Harka auf ihre Mustangs und ritten gegen Nordwesten zu, einer noch Ungewissen Zukunft entgegen. Der Fuchs und der Grauschimmel waren kaum zu halten. Als ob die Gefangenschaft sie verfolgte, so stürmten sie auch an diesem dritten Tage noch dahin, und ihre Reiter sogen immer wieder die reine Luft ein. Ihre Lungen und ihr Blut hatten sich schon erfrischt.
    Um die Mittagszeit legten sie eine Rast ein, um den Pferden Erholung zu gönnen. Großer Wolf hatte ihnen den Weg gut beschrieben; sie befanden sich am Ufer eines der tausend kleinen Seen. Die Pferde soffen. Mattotaupa und Harka legten sich auf die Büffelhautdecke, die Harka bei seiner Flucht aus dem heimatlichen Zelte mitgebracht hatte. Die beiden Indianer besaßen nicht viel, nicht mehr, als sie in der letzten Vorstellung des Zirkus bei sich gehabt hatten: Pferde, Waffen, Leggings, Mokassins und auch den kleinen Beutel, dessen Inhalt an Gold und Silbermünzen sich aber sehr vermindert hatte. Großer Wolf hatte für sie außerdem die Decke mitgebracht und beim Abschied etwas von dem Fleischvorrat zurückgelassen, den er sich noch eingesteckt hatte.
    Auch während Mattotaupa und Harka in der Sonne lagen, spürten sie den kühlen Atem dieser Landstriche, in denen sie jetzt unterwegs waren. Fern, sehr fern weilten sie von ihrer Heimat, die zwischen dem großen Platte-Strom und den Black Hills lag. Zwischen die Heimat und sie legten sich aber nicht nur Ströme, Prärien und Wälder, nicht nur der Bann des Zauberers. Sie hatten einen Sommer und Winter allein verbracht, mit anderen Kämpfen, anderen Freunden, anderen Schmerzen als die Bewohner des Zeltdorfes daheim. Wie ein Traum erschienen ihnen jetzt Mutter, Bruder, Schwester, Gefährten, das Zeltfeuer, die gemeinsamen Spiele, die gemeinsamen Jagden und Kämpfe. Sie hatten auch von der Welt der weißen Männer mehr erfahren, als die Krieger an den Quellen des Platte und in den Bergwäldern erfahren konnten. Sie hatten gelernt, was keiner von diesen verstand, eine andere Sprache, Lesen, Schreiben. Aber dennoch gehörten sie nicht zu den weißen Männern, nicht in deren Städte, nicht auf deren Farmen. Reiten und Jagen in der unbegrenzten Wildnis war ihr Dasein gewesen, seit sie denken konnten. Danach sehnten sie sich wieder, und sie sehnten sich nach Büffelhautzelten und nach der ruhigen und stolzen Art freier roter Männer.
    Harka dachte daran, daß er ein Jahr zuvor, in den gleichen Tagen, nachts im Walde auf den Vater gewartet hatte, der ihm ein Geheimnis offenbaren wollte. Seitdem war viel geschehen, und er selbst war anders geworden, nicht nur um ein einziges Jahr älter, wie es ihm schien, sondern um viele Jahre, und er war nicht mehr ein Kind, sondern der junge Gefährte Mattotaupas. Er hatte sehr viel verloren. Das einzige, was ihm geblieben war und ihm jetzt allein und viel fester gehörte als je zuvor, das war der Vater.
    Wenn er nun mit Mattotaupa zu dem mächtigen Stamm der Siksikau ritt, tat er es ohne Hoffnungen, die sich in blauer Ferne verloren, ohne die Erwartung, daß die tiefsitzende Qual, von Heimat und
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