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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hustete in einem Asthmaanfall, daher fiel der Abschied der beiden Familien sehr kurz aus.
    Als Familie Smith wieder in der Kutsche saß und die Pferde anzogen, nahm Samuel Smith seine kleine Tochter auf den Schoß. Ihr Köpfchen lehnte an seiner Schulter.
    Sobald das Haus im Garten erreicht war, wurde Cate zu Bett gebracht. Der Vater sagte ihr liebevoll gute Nacht, und sie tat so, als ob sie einschliefe, um ihn zu beruhigen.
    Tante Betty bat Samuel Smith zu sich, da es ihr sehr schlecht gehe; vielleicht solle man einen Arzt rufen? Aber Smith riet ihr, nur die gewohnten Herzmittel zu nehmen, und es gelang ihm, sie dem alten Hausmädchen zu überlassen.
    Als er so die Sorge um Tante Betty los war, verließ er noch einmal das Haus. Er hatte dem Kutscher Anweisung gegeben zu warten, sprang jetzt in die Kutsche und ließ in schnellem Trab und, soweit es Verkehr und Straßenbeschaffenheit erlaubten, im Galopp fahren. Sein Ziel war die Polizeiinspektion.
    Samuel Smith fand dort als Bürger der Stadt und Neffe einer sehr angesehenen Tante schnell einen zuständigen Inspektor.
    »Haben Sie zu der Katastrophe auch etwas auszusagen, Herr Smith?« lautete die erste Frage des Mannes, dem Smith an einem kahlen Schreibtisch gegenübersaß.
    »Zu was für einer Katastrophe?« fragte Smith, nichts Gutes ahnend.
    »Der Inspizient, Frank Ellis, ist erschossen worden, sicherlich von einem der Indianer. Die ganze Indianertruppe war schon flüchtig, als wir von dem Mord erfuhren. Wir haben bis jetzt noch nicht einen einzigen gefaßt.«
    Smith rang nach Luft. »Fehlen auch die Pferde?«
    »Drei Pferde. Die anderen haben sie zurückgelassen. Die Sache war raffiniert vorbereitet, und das Zusammenspiel zwischen den Roten muß leider tadellos geklappt haben. Offenbar hat der größere Teil der Truppe das Gelände schon heimlich verlassen, als die Aufregung in der Manege und der Sturm das ganze Personal beschäftigten. Zum Schluß sind dann dieser Vater mit dem Sohn, genannt Top und Harry, und ein dritter Indianer entkommen.«
    »Wie heißen Top und Harry in Wirklichkeit? Zu welcher Stammesabteilung gehören sie?«
    »Wer soll das jetzt noch herausbringen!«
    »Also kann man auch nichts über die Richtung ihrer Flucht vermuten. Der dritte Indianer war einer der Dakota, die die Farm meiner Mutter in Minnesota überfallen, meine Mutter erschossen und die Farm abgebrannt haben.«
    »Wenn er in unserer Hand wäre, würden wir ihn hinrichten, aber leider haben wir ihn nicht, und wenn er aus Minnesota stammt, weiß er zweifellos über alle Schlupfwinkel bestens Bescheid.«
    Smith schluckte. Er hatte eine etwas gefühlsbetontere Antwort erwartet, wollte sich aber nicht weich zeigen. »Vielleicht weiß der Anführer der Cowboytruppe Näheres über Top und Harry? Er hat mit ihnen zusammengearbeitet.«
    »Jim?« Der Inspektor lächelte. »Den hatten wir verhaftet!« Smith zog erstaunt die Brauen hoch.
    »Hatten?«
    »Hatten. Er ist uns schon wieder entwischt.«
    »Was war sein Verbrechen?«
    »Kassenraub. Eine blondgelockte Dame hat ihn uns ans Messer geliefert. Sie war eifersüchtig auf Jim, vermutlich nicht ganz ohne Grund, wie sie als Nachbar der Loge 6 beobachtet haben dürften. Die Dame war so unvorsichtig, sich in der Umgebung des Zirkus umherzutreiben, um Jim nach der Vorstellung abzufangen. Eifersucht pflegt den Verstand zu verdunkeln. Sie wurde von einem der Bediensteten des Zirkus als die Kassiererin erkannt, die im Herbst in Omaha mit dem Gelde durchgegangen war. Wir haben sie verhaftet. Sie hat Jim als ihren Komplizen verraten. Das Geld hatte er im Zirkus als Kredit investiert, hohe Zinsen gefordert und einen Pfändungsbefehl erwirkt. Wir haben dann mit Hilfe des Clowns nach der Vorstellung sofort zugegriffen. Aber leider ist uns der Bursche auf dem Transport trotz Handschellen wieder entsprungen. Nehme an, daß er jetzt im wilden Westen untertaucht wie so viele unserer Verbrecher. Schade. Wir wollten die Vorstellung natürlich nicht stören, sonst hätten wir uns diese Puppe am besten so geholt, wie die Indianer sie in der Manege in den Sand gelegt hatten, lassoumwickelt!«
    »Ich danke Ihnen, Herr Inspektor. Sie haben mir mehr mitgeteilt, als ich Ihnen mitteilen konnte!«
    Als die Sonne nach dieser Nacht das drittemal aufging, stürmte es noch immer über dem Land. Der Vater der Ströme wallte mit seinen Wassern dahin. Das Eis war endlich gebrochen. Aber die Fluten waren noch gelb, hoch wogten sie zwischen den Ufern, da die Schneeschmelze
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