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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Herren in Loge 7 runzelten wieder die Stirn.
    »Diese Rede müßte natürlich aus der Nummer verschwinden«, bemerkte der Vertreter von B & B. Smith hatte die Worte verstanden und nickte.
    Die Zornesröte war ihm in die Stirn gestiegen.
    Harka stand in der Manege stolz an der Seite seines Vaters.
    Die Lady am Manegenrand erhob sich in ihrem langen Rock, lief zu dem grausamen Häuptling hin und bat um Gnade für den Gefangenen. Der Häuptling schickte sie weg, da sie sich nicht in Männerangelegenheiten zu mischen habe, und wandte sich wieder dem Gefangenen zu, während die Lady in die Knie sank und um das Leben des Unglücklichen zum Himmel flehte.
    Mattotaupa kringelte eine der rötlichen Locken des Gefangenen in die Höhe und versprach, diese mit der Schneide seines Beils am Pfahle festzuklammern. Er nahm gehörigen Abstand, fast den ganzen Durchmesser der Manege, und wog das Schlachtbeil in der Hand. Die Musik setzte aus, und die Zuschauer gaben sich sämtlich einem prickelnden Gruseln hin.
    Mattotaupa warf das Beil. Er hatte die Technik des Wirbelwurfes mit dieser Art Tomahawk mit Stahlschneide erst seit einigen Monaten erlernt, da er bei seiner Dakotaabteilung bis dahin nur die elastische Steinkeule in Gebrauch gehabt hatte. Aber er fühlte sich schon sicher genug, um den Wurf zu wagen. Das Beil sauste in hohem Bogen und wieder herab, unmittelbar über dem Kopf des Gefangenen in den Pfahl. Die aufgezwirbelte Locke wurde dabei abgeschnitten.
    Die Gruppe der jungen Leute hoch oben auf den letzten Bänken pfiff achtungsvoll, und dann lohnte großer Beifall den meisterlichen Wurf. Die beiden Vertreter von der Bank und vom Zirkus B& B machten sich Notizen. Der Direktor, der auf Platz 6 derselben Loge saß, lächelte zufrieden.
    Mattotaupa holte sich sein Beil wieder, und der Gefangene nahm die Gelegenheit wahr, ihm zu versichern, daß er sich geehrt fühlte, Gefangener eines so großen Häuptlings der Sioux-Dakota zu sein. Der Häuptling antwortete:
    »Weißer Mann, das ist nur ein Spiel, und ein Knabe ist bei uns geschickter als bei euch ein erwachsener Mann!« Er rief seinen Sohn herbei, denselben, der auf dem Grauschimmel die Meldung von der nahenden Postkutsche gebracht hatte, und befahl ihm, dem Weißen zu zeigen, was Indianerjungen konnten. Als der Gefangene des Knaben ansichtig wurde, schrie er: »Ah, du Verräter! Ich erkenne dich wieder! Du bist unser Kundschafter, der uns verraten hat. Das Fell werden wir dir abziehen, sobald uns Hilfe naht!«
    »Dieser Junge ist doch identisch mit dem ältesten Sohn des Lords , wenn mich nicht alles täuscht«, sagte der Vertreter von B & B, der ebensowenig Illusionen kannte wie Smith. »Kein Wunder, daß er den Zylinder nicht abnehmen wollte.«
    »Auch kein Wunder, daß ein solcher Junge noch keine Erziehung genossen hat«, bemerkte Tante Betty, halb zurückgewandt, damit die Herren hinter ihr die Worte verstehen sollten.
    »Gemeiner Schwindel!« schalt Douglas leise vor sich hin.
    »Aber er hat wirklich wie der Sohn eines Lords ausgesehen«, sagte Cate, noch leiser. Nur Douglas, der den Ellenbogen auf die Logenseitenwand stützte und auf Cates Bemerkung geachtet hatte, verstand sie. Er war unzufrieden mit Cate, weil er ein wenig eifersüchtig war, aber er bezwang sich selbst und urteilte sachlich: »Jetzt sieht er wirklich wie der Sohn eines Häuptlings aus.«
    In der Manege ließ sich Harka eben von dem Vater das Schlachtbeil geben und versprach dem Manne am Marterpfahl, ihm noch eine zweite Locke abzuschneiden.
    »Bin ich denn unter Frisöre geraten!« rief der unglückliche Gefesselte ganz aufgebracht. »Du räudiger kleiner Kojote, laß mir meine Locke stehen!«
    Harka begab sich auf denselben Platz, von dem aus Mattotaupa das Beil geschleudert hatte. Der Junge beugte, den Oberkörper wiegend, die Knie; ein Bein hatte er vorgestellt. Er wog das Beil noch einen Augenblick, und dann schleuderte er im Wirbelwurf. Das Beil flog nahe über den Boden und stieg dann, wie von einem Zauberstab gezogen, steil auf, bis es über dem Kopf des Gefangenen die zweite Locke abschnitt und wie beim ersten Wurf in dem Pfahle festsaß.
    »Verfluchter Bengel!« schrie der Gefesselte in echter Wut. »Du hast Nerven! Häuptling, bring die kleine Kröte weg! Ich bin ein großer Krieger und lasse mich nicht von Kindern zum besten haben!«
    »Der Mann am Pfahl mag ruhig sein. Es ist mein Sohn, der das Beil geworfen hat, und in wenigen Sommern wird sein Name in der Prärie und dem Felsengebirge
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