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027 - Das Gesicht im Dunkel

027 - Das Gesicht im Dunkel

Titel: 027 - Das Gesicht im Dunkel
Autoren: Edgar Wallace
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    Ein grauer Nebel begann sich über London herabzusenken, und der Mann, der am Portman Square vor Nummer 551 haltmachte, war nur undeutlich zu sehen. Er schien nicht ganz sicher auf den Füßen zu stehen, und sein Mund verzog sich zu einem häßlichen Grinsen, während er zu den dunklen Fenstern hinaufsah.
    Er wollte die alten Burschen lehren, daß es nicht guttut, andere Leute zu übervorteilen. Warum sollte dieser Malpas ein üppiges Leben führen, während sein bester Agent sich kümmerlich durchschlug? Das fragte sich Laker jedesmal, wenn er betrunken war. Tatsächlich ließ seine ganze Erscheinung auf bittere Armut schließen: sowohl das lange, unrasierte Gesicht mit der diagonal von der Wange bis zur Mitte des Kinns verlaufenden Narbe, als auch sein kläglicher Anzug.
    Nachdem er einen Augenblick auf seine plumpen Stiefel hinabgeblickt hatte, stieg er die Stufen hinauf und klopfte. Sofort fragte eine Stimme, die ganz aus der Nähe zu kommen schien: »Wer ist da?«
    »Laker ist da!« erwiderte er laut.
    Die Tür öffnete sich lautlos, und er trat ein. Ohne weiteres ging er durch die kahle Halle hindurch, die Treppe hinauf und stand gleich darauf in einem verdunkelten Zimmer. Die einzige Beleuchtung ging von einer grünbeschirmten Lampe auf dem Schreibtisch aus, an welchem ein alter Mann saß. Laker stand innerhalb der Schwelle und hörte, wie die Tür sich hinter ihm schloß.
    »Setzen Sie sich«, sagte der Mann am andern Ende des Zimmers, und Laker ließ sich grinsend auf einem zwei Schritte entfernten Stuhl nieder.
    »Wann sind Sie gekommen?«
    »Heute morgen; mit der ›Buluwayo‹. Ich brauche Geld und brauch' es rasch, Malpas.«
    »Legen Sie das, was Sie bringen, auf den Tisch, und kommen Sie in einer Viertelstunde wieder, um das Geld zu holen.«
    »Ich will es jetzt haben«, knurrte der Betrunkene trotzig.
    Malpas wandte ihm sein scheußliches Gesicht zu. »Hier gilt nur mein Wille«, sagte er rauh. »Sie sind betrunken, und da sind Sie immer ein Narr.«
    »Aber nicht so'n Narr, daß ich mich noch weiter in solche Gefahren begebe. Und Sie sind auch in Gefahr, Malpas! Sie wissen nicht, wer nebenan wohnt.«
    Malpas zog seinen gesteppten Schlafrock enger zusammen und kicherte. »Sie Dummkopf! Als ob ich nicht nur deshalb hier wohnte, um in seiner Nähe zu ein.«
    Der Betrunkene starrte ihn mit offenem Mund an. »Aber - er ist doch einer von denen, die Sie bestehlen. Er ist ein Dieb, aber Sie bestehlen ihn. Warum wollen Sie denn neben ihm wohnen?«
    »Das ist meine Sache«, erwiderte der andere. »Legen Sie den Kram hin und machen Sie, daß Sie fortkommen!«
    »Ich lasse nichts hier und geh' auch nicht weg, ehe ich genau über Sie Bescheid weiß, Malpas«, sagte Laker, indem er aufstand. »Um nichts und wieder nichts sitzen Sie nicht an einem Ende dieser dunklen Stube und lassen mich hier am andern Ende bleiben. Ich will Sie mir mal aus der Nähe ansehen, Freundchen. Und rühren Sie sich nicht. Sie können den Revolver in meiner Hand nicht sehen, aber er ist da, verlassen Sie sich drauf!«
    Er machte zwei Schritte vorwärts und prallte zurück. Ein quer durchs Zimmer gespannter Draht, der im Dunkeln nicht zu sehen war, brachte ihn ins Wanken, und im selben Augenblick ging das Licht aus. Wütend stürzte er los, zerriß den Draht, hakte mit dem Fuß in einen zweiten, dicht über dem Boden befindlichen und schlug der Länge nach hin.
    »Machen Sie Licht, Sie alter Halunke!« schrie er außer sich, als er wieder auf die Beine kam. »Sie bestehlen mich -Sie leben seit Jahren von mir! Rücken Sie Geld heraus, Sie Teufel, oder ich zeige Sie an!«
    »Das ist das drittemal, daß Sie mir drohen!«
    Die Stimme ertönte hinter ihm, und er fuhr wie rasend herum und schoß. Die mit Stoff bespannten Wände dämpften den Knall, aber beim Aufflammen des Schusses sah er eine Gestalt auf die Tür zuschleichen und drückte noch einmal ab.
    »Machen Sie Licht!« brüllte er, aber schon öffnete sich die Tür, und er sah die Gestalt hinausschlüpfen. Im Nu hatte er die Treppe erreicht. Nichts zu sehen! Aber hinter ihm fiel die Tür mit leisem Knacken ins Schloß. Nun erblickte er eine andere Tür, warf sich dagegen und schrie umsonst nach Malpas. Keine Antwort! Er sah etwas am Boden liegen und hob es auf. Es war ein vortrefflich geformtes und gefärbtes wächsernes Kinn mit zwei Gummibändern, von denen eines zerrissen war. Darüber mußte er laut lachen.
    »Malpas, ich hab' Ihr Kinn!« rief er aus. »Kommen Sie 'raus, sonst
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