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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Autoren: Petra Tessendorf
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nicht mehr am Bauch fest, aber sie hatte das starke Bedürfnis nach Abkühlung. Als hätte Thorvald ihre Gedanken gelesen, zog er sie plötzlich den Berg hinunter und deutete auf das steinig grüne Gewässer,das sich mit verlockendem Geplätscher in einem schmalen Bett entlangschlängelte.
    An diesem Bach, der früher durch unzählige selbstgebaute Staudämme an seinem natürlichen Lauf gehindert worden war und in dessen kleinen Staubecken sie wunderbar hatten baden können, ließen sie sich nieder. Olga zog das enge Kleid hoch und setzte sich vorsichtig auf einen Stein. Beide hielten die Luft an, als sie die Füße ins kalte Wasser tauchten.
    »Und?« Thorvald hatte sich zurückgelegt und auf die Ellenbogen gestützt. »Komisch, oder?«
    »Was denn?«
    »Alles. Die Leute. Der Wald. Und die Tatsache, jetzt mit dir hier zu sitzen. An unserem Staudamm.« Er zeigte mit der Flasche aufs Wasser. »Meinst du, die Steine sind noch von uns?«
    »Kann sein«, erwiderte Olga. »Weißt du noch, was das für eine Plackerei war, sie hierherzuschaffen? Die Arbeit hat sich bestimmt nach uns keiner mehr gemacht.«
    Thorvald nahm einen tiefen Schluck. Schweigend sahen sie in das glucksende Wasser.
    »Wie geht es dir? Du bist so ruhig.« Thorvald richtete sich auf und warf kleine Steinchen ins Wasser. »Freust du dich nicht, mich wiederzusehen?«
    Er lachte auf. Das machte er oft, wenn er etwas sagte. Schon als Kind. Olga freute sich über diese vertraute Geste. Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und sagte: »Du bist der Einzige, auf den ich mich wirklich gefreut habe. Du und Benno. Die anderen sind schon zu weit weg. Ich habe im Moment nicht so viel Lust auf Vergangenheit. So toll war die auch nicht immer. Außerdem bringt mich das nur wieder von meinem Vorhaben ab.«
    »Was? Keine unbekümmerte, behütete Kindheit im Schoß der Familie?«, fragte Thorvald ironisch.
    »Na, du warst doch die ganze Zeit dabei«, sagte Olga.
    »Eben. Also, ich kenne Leute, denen es schlechter ergangen ist.«
    Olga sah ihn an. Das vertraute Gesicht. So vertraut wie ein Bruder. Gott sei Dank ist er das nicht, dachte sie.
    Thorvald drehte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Ich habe dich fast ein Jahr nicht gesehen. Werden die Pausen jetzt immer länger?«
    Thorvald klang fast ein wenig vorwurfsvoll. Olga wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war sich schon seit längerem nicht mehr im Klaren darüber, wie gut Thorvald, oder besser gesagt, wie gut die Beziehung zu ihm für sie war. Denn eine klare Trennung zwischen »bestem Freund« und »feurigem Liebhaber« gab es nicht. Er hatte einen festen Platz in ihrem Leben, aber eben nicht so fest, dass sie zusammenleben, gemeinsame Zukunftspläne schmieden oder vielleicht sogar Kinder großziehen würden. Bisher hatte ihr das nichts ausgemacht, im Gegenteil. Olga war unruhig geworden, fühlte sich plötzlich hin- und hergerissen zwischen unstillbarer Sehnsucht nach Thorvald und einer Angst vor zu viel Nähe, auch wenn die Nächte mit ihm ihr sonstiges Liebesleben zu einem schlechten Witz degradierten.
    Thorvald ging es nicht anders. Die beiden konnten nicht voneinander lassen. Wie Tristan und Isolde. Das, was sie verband, sie immer wieder zusammenzog wie ein unsichtbares Gummiband, war der Liebestrank, den sie bereits als Kinder gekostet hatten. »Und beide wähnten, es wäre Wein.« Nur dass Tristan und Isolde daran zugrunde gegangen waren.
    Aber so konnte es nicht weitergehen. Vielleicht hattesie sich deshalb so lange nicht bei Thorvald gemeldet. Sie wollte ihn nicht verlieren, aber sie musste ihn loslassen.
    Und dann war da Nyoko. Sie war ebenfalls Sängerin und teilte sich mit Thorvald in Kopenhagen eine Wohnung. Olga hatte das Gefühl, als würde Nyoko auf Thorvald großen Einfluss ausüben, jene Art von Einfluss, der exzentrischen Menschen Bodenhaftung verlieh und der nur von zukünftigen Ehefrauen ausgeübt werden konnte. Sie, Olga, würde ihn nicht auf Nyoko ansprechen. Sie würde merken, wenn sich etwas Ernstes zwischen den beiden entwickelt hätte. Dann wäre es mit ihnen vorbei und sie wäre frei.
    All das schoss ihr in Sekundenschnelle durch den Kopf. Und wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sich keinerlei Routine einstellte, keine Gewohnheit die Begierde ermatten ließ. Jedes Liebesabenteuer mit Thorvald war aus großer Lust zustande gekommen. Mit einem Prickeln im Magen und mit Herzklopfen. Was gab es Schöneres mit vierzig?
    Ein riesiger Stein, der gemächlich den Abhang hinabrollte, platschte
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