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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Autoren: Petra Tessendorf
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die nach den so prägenden Jahren der Schulzeit ihr Leben mehr oder weniger in die Hand genommen hatten, um irgendetwas daraus zu machen.
    Wer von ihnen war glücklich? Wem war es gelungen, einen Traum zu verwirklichen? Wer einfach nur nüchtern, abgeklärt, schlimmstenfalls gelangweilt? Dann doch lieber erfolgreich gescheitert, schoss es Olga durch den Kopf.
    Ihr fiel wieder ein, dass sie sich zusammen mit Thorvald, Benno und einigen anderen ziemlich arrogant von den Mitschülern abgegrenzt hatte, die sie schlichtweg als »Masse« bezeichnet hatten. Jetzt galt es zu prüfen, ob die Einteilung von damals zukunftstauglich gewesen war. Es gab da einige Grenzgänger, die sich nicht so genau einordnen ließen, und sie stellte fest, dass einige ihrer ehemaligen Klassenkameraden recht selbstbewusst daherkamen. Ebenso gab es Leute, die sich ganz offensichtlich von der schweren grauen Masse abhoben und Olgas Interesse weckten.
     
    Langsam wich das Gefühl der Benommenheit aus Olgas Kopf. Jetzt hatte sie auch Lust auf den Sekt, der gerade die Runde machte.
    »Komm!«, flüsterte in diesem Moment Thorvald, zu ihr herübergebeugt. Er nahm ihre Hand und zog sie nach draußen. In der Rechten eine Flasche Veuve Clicquot, weiß beschlagen.
    Olga taumelte über die Veranda, obwohl sie noch keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte. Thorvald legte seinen Arm um ihre Schultern und wortlos gingen sie die schmale asphaltierte Straße entlang. Olga trug ihre Pumps an den Riemchen, Thorvald hatte seine Schuhegleich zurückgelassen. Die Hosenbeine seiner Jeans schabten auf der Straße. Er trank aus der Flasche, sie hatten die Gläser vergessen. Wie früher.
    Olga nahm auch einen tiefen Schluck und spürte augenblicklich, wie der Alkohol die Anspannung im Kopf fortspülte. Langsam und ohne Ziel schlenderten die beiden dahin. Ab und zu hob Thorvald lachend und grüßend die Flasche und Olga winkte den Leuten zu, die sie noch nicht begrüßt hatten.
    »Sag mal, ist das nicht Juli?« Thorvald zeigte auf eine Frau in einem engen blaugrünen Kleid, das Olga an das Wasser einer Lagune erinnerte. Sie saß auf einer Bank und war in ein Gespräch mit einer älteren grazilen Frau neben ihr vertieft. Olga und Thorvald gingen auf die Frauen zu.
    Juliane sah erst auf, als die beiden direkt vor ihr standen. Augenblicklich war der Ernst aus ihrem Gesicht verschwunden. Strahlend sprang sie auf und umarmte Olga. Dann bekam Thorvald einen dicken Kuss auf die Wange.
    »Thor! Ich glaub’s nicht. Du siehst genauso aus wie früher. Du hast ja gar keinen Bierbauch. Hast du etwa Zeit für Sport?«
    Sie lachte vergnügt und schaute erwartungsvoll zwischen Olga und Thorvald hin und her. Beide wussten, was sie dachte. Seid ihr jetzt endlich zusammen?
    »Kennt ihr Frau Himmelreich noch?«, erkundigte sie sich schließlich.
    Die schmale Frau erhob sich und lächelte die beiden an. Ihr Händedruck war fest. »Guten Tag, Olga.«
    »Sie haben lange für meinen Großvater gearbeitet, nicht wahr?«, sagte Olga, die sich freute, Frau Himmelreich in so hervorragender Verfassung zu sehen. »Er hat immer sehr viel von Ihnen gehalten.«
    »Und das will was heißen bei Vincent Ambach«, ergänzte Thorvald. »Gestatten, Einarsson. Ich weiß nicht, ob Sie mich noch kennen.«
    Er gab Frau Himmelreich mit einer höflichen Verbeugung die Hand. Barfuß, die halblangen Haare verschwitzt und durcheinander, nahm er die Flasche rasch in die Linke.
    »Guten Tag, Thorvald. Ich freue mich sehr, Sie hier mit Olga zu sehen. Sie sind so ein schönes Paar!«
    Sie zwinkerte den beiden vielsagend zu, ohne eine Antwort zu erwarten.
    »Aber nur, weil wir uns so selten sehen.« Lachend riss Olga ihren Begleiter an der Hand fort.
    »Ich komme gleich ins ›Luis‹!«, rief Juliane ihnen nach und winkte.
    Olga drehte sich noch einmal um und sah zu ihrer Schulfreundin zurück. »Sie sieht toll aus. Früher war sie absolut unscheinbar.«
    »Das meint ihr Frauen vielleicht«, widersprach Thorvald. »Ich fand Juliane schon immer klasse. Eigentlich war ich immer ein bisschen in sie verliebt.«
    Olga schaute ihn verdutzt an und lachte los.
    »Du?«, rief sie lachend. »Das glaube ich nicht. Hinter
dir
waren doch immer alle her. Du hattest doch freie Wahl.«
    »Mag schon sein.« Er drehte sich auch noch einmal zu Juliane um. »Aber bei ihr hatte ich nie eine Chance.«
     
    Es war fast neun. Olgas Kleid – sie hatte extra das helle Leinenkleid mit dem tiefen Rückenausschnitt ausgesucht – klebte zwar
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