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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald
Autoren: Michel Rouzé
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ausgetragen wurde. Die Brüder waren voller Begeisterung für ihr nagelneues Moped, und Pierres Wunschtraum seit Kindertagen war ein richtiges Motorrad. Zum hundertsten Male entwickelte er seine Ansicht:
    „Euer großartiges Moped! Da kann ich nur lachen! Ein richtiger Sportsmann setzt sich gar nicht auf so etwas. Auf dem Ding da müßt ihr doch immerzu das Gefühl haben, in der Luft herumzuflattern …"
    „In der Luft herumzuflattern?“ wiederholte Jacques entrüstet.
    „Jawohl! Ihr hättet euch nur vorhin sehen müssen. Erst seid ihr nach links gesegelt, dann nach rechts, wie die Irren … Dagegen ein Motorrad! Das ist doch wenigstens etwas Solides. Man ist mit der Maschine verwachsen, man spürt sie zwischen den Knien …“
    „Was du schon davon weißt! Du wirst doch nicht behaupten wollen, du hättest schon mal auf einem Motorrad gesessen, auf einem richtigen? Denn deine Nähmaschine da …“
    Pierre zuckte mit den Achseln. „Soviel weiß ich allein, daß die Karre nur ein gewöhnliches Fahrrad ist mit einem kleinen Hilfsmotor. Aber besser als gar nichts! Und wenn mein Vater mir eines Tages ein Motorrad kauft, kann ich schon damit umgehen; das ist immerhin etwas wert.“
    Raymonds Rückkehr aus dem kleinen Laden beendete — für den Augenblick wenigstens — diese ewige Auseinandersetzung. Er zog die Ladentür hinter sich zu, und dabei rutschten ihm die Konservendosen aus der Hand, die er eben eingekauft hatte. Mit akrobatischer Geschicklichkeit fing er sie gerade noch auf.
    „Mußtest du denn hier schon alles mitnehmen?" fragte Pierre. „Wir kommen doch unterwegs noch an genug anderen Läden vorbei.“
    „Stimmt", antwortete Raymond lachend. „Aber weißt du, ob wir woanders Anchovispaste bekommen? Ich muß zum Frühstück unbedingt Anchovispaste haben.“
    „Komische Idee“, meinte Jacques. „Mir schmeckt Butter viel besser, besonders frühmorgens.“
    „Das kann jeder halten, wie er will. Die Freiheit soll leben! In diesen vier Tagen wird niemand zu etwas gezwungen!“
    „Glaubst du, daß alle Meerkatzen heute nachmittag pünktlich in Courtils sein werden?“
    Raymond konnte nicht gleich antworten. Er war mit dem schwierigen Problem beschäftigt, wie in dem vollgestopften Tornister, dessen Riemen schon in die äußersten Löcher geschnallt waren, noch ein Pfund Schweizer Käse, sechs Konservendosen und vor allem die beiden Tuben Anchovispaste untergebracht werden könnten. Er entschloß sich schließlich, alles zwischen Tornister und Zeltbahn zu stopfen mit Ausnahme der beiden Tuben, die er vorsichtshalber in seine Jackentasche schob.
    „Wenn alles klappt“, murmelte er dabei, „wenn alles klappt, muß der ganze Stamm heute abend im Lager von Courtils vollzählig versammelt sein. In feierlicher Beratung ist beschlossen und ehrenwörtlich versichert worden, daß wir uns Montag, den 6. September, vor zwölf Uhr mittags zusammenfinden. Sämtliche Eltern haben sich einverstanden erklärt, daß wir nicht vor Freitag, dem 10. September, zurück sein müssen und uns frühestens zum Abendessen den diversen Familien wieder widmen können.“
    „Das heißt, wir dürfen vier volle Tage ungestört in Courtils bleiben! Großartig.“
    Jacques kannte kein größeres Vergnügen als diese Fahrten mit seinem Bruder und den anderen Meerkatzen. Das waren Jungen im Alter zwischen zehn und fünfzehn Jahren. Schon im vergangenen Jahr hatten sie ihr Lager auf einem Grundstück aufgeschlagen, das einsam am Rande der Bucht von Saint-Michel gelegen war. Das Gras der Wiesen dort roch schon nach Salz. Man konnte kaum mehr sagen, wo das Land endete und der weite Sandstrand begann. Ja, bei Neumond, zur Zeit der Springfluten, mußte man sich davor hüten, die Zeltpflöcke zu dicht am Strande einzupflanzen, wollte man nicht Gefahr laufen, in der Nacht aufzuwachen und zu fühlen, wie die Schaumzungen des steigenden Wassers schon die Hände beleckten …
    Raymond überlegte.
    „Wen hätten wir also?“ Er als der Älteste spielte gerne ein wenig den Stammeshäuptling. „Andre Vieljeux kommt aus Avranches. In Saint-Jean-le-Thomas wohnen die beiden Petits über die Ferien. Sie werden sicher heute früh ungefähr zur gleichen Zeit wie wir losgezogen sein. Wahrscheinlich bauen die drei jetzt schon ihre Zelte auf.“
    „Und Grandier?“ fragte Jacques.
    „Grandier kommt aus Bréhal, noch hinter Granville, und ein Frühaufsteher ist er auch nicht gerade. Er ist bestimmt der letzte.“
    „Und Jean Ternet?“ erkundigte sich
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