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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald
Autoren: Michel Rouzé
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Straße ein Stück zurück. Da lag ein Fahrrad mit zusammengedrückten Rädern, Metallteile waren im Gebüsch am Wegrand verstreut. Ein Stück weiter fanden sie einen kleinen Jungen, das Gesicht zum Boden gekehrt und die Arme weit nach vorn geworfen.
    „Ist das …“ rief Jacques, „ist das nicht …?“
    Behutsam ergriff Raymond den Kopf des Verunglückten und drehte sanft das Gesicht zur Seite. Wahrhaftig, es war der kleine Jean Ternet.
    Glücklicherweise schien er nicht ernstlich verletzt zu sein. Man sah kein Blut, nur eine mächtige Beule an der Stirn. Kaum hatten die Freunde ihn auf den Rücken gelegt, da schlug er auch schon die Augen auf und sah verwirrt in die sorgenvoll über ihn gebeugten Gesichter. Er begriff anscheinend noch nicht recht, was mit ihm geschehen war.
    „Nanu, Jean, kennst du uns nicht?“
    Die Lippen des Kleinen versuchten zu lächeln. Er brachte statt einer anderen Antwort ein schwaches Murmeln hervor: „Urra-a-uh!“
    Als die drei Meerkatzen den mühsam geflüsterten Ruf ihres Stammes vernahmen, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Raymond sprang auf, lief zu seinem Gepäck und kam mit einer flachen kleinen Flasche zurück. Jean fuhr hoch, kaum daß ein paar Tropfen daraus auf seine Zunge geflossen waren. Er hustete und spuckte, als hätte er Feuer geschluckt.
    „Was ist denn das für ein Teufelszeug?“ stieß er voller Empörung hervor.
    „So ein Undank! Das war ein Schluck Armagnac aus meiner Flasche, die ich für ganz große Anlässe reserviert habe. Nie wieder wirst du einen Tropfen abbekommen! Geht’s dir jetzt wenigstens besser, Kleiner?“
    „Ich glaube: ja“, antwortete Jean und fuhr sich mit schmerz verzogenem Gesicht über den Kopf. „Was war denn eigentlich …?“
    „Na, hör mal! Wir warten die ganze Zeit, daß du uns das freundlicherweise erzählen wirst. Wir dachten, du stehst schon in Courtils bereit, uns mit allen gebührenden Ehren zu empfangen. Statt dessen liegst du hier im Straßengraben und beißt ins Gras. Wenn dein Vater das wüßte! Immer predigt er dir, daß du auf abschüssigen Straßen vorsichtig sein sollst …!“
    Diese Rede frischte das Erinnerungsvermögen des Jungen auf.
    „Jetzt … jetzt weiß ich … ich bin hingefallen …
    „Ach nein, wirklich? Und was hast du dir dabei gedacht? Du fährst ja schließlich nicht zum ersten Male hier hinunter …“
    „In der Kurve kam plötzlich ein Wagen auf mich zu. Ich wollte bremsen, dabei ist mir die Kette gerissen, das Rad ist ins Schleudern gekommen, und weiter weiß ich nichts mehr …“
    Jean war auf gestanden und betastete vorsichtig seine Knochen. Dann prüfte er ernsthaft nach, ob auch alle seine Glieder noch ihren Dienst taten. Wahrhaftig, es war nichts passiert, wenn man von einem großen Riß in der Hose und der zusehends dicker werdenden Beule auf der Stirne absah.
    „Etwas ist ja merkwürdig“, meinte Jacques. „Dein Rad ist vollkommen hin …“
    Ja, richtig, die einzelnen Teile lagen verstreut auf der Böschung. Die beiden Räder waren zu Ovalen zusammengedrückt, die Arme der Gabel gebrochen, die Pedale weggerissen … Jean hatte gewaltiges Glück gehabt, daß er bei diesem Unfall einigermaßen heil geblieben war.
    „Das verstehe ich nicht“, sagte Raymond. „Ich möchte wissen, wie das zugegangen ist.“
    Er kehrte zur Straße zurück und untersuchte die Spuren auf dem Asphalt. Plötzlich bückte er sich und hob eine Ventilkappe und ein paar kleine Glas- und Lacksplitter auf, die er nachdenklich betrachtete.
    „Na, Herr Meisterdetektiv“, neckte Jean, „haben Ihre Nachforschungen schon etwas ergeben?“
    „Oh ja, meine Untersuchung ist abgeschlossen. Kommt mal alle her!“
    Die drei Jungen umringten Raymond und waren bereit, seinen Scharfblick zu bewundern.
    „Genau hier“, erklärte er, „hat es Jean erwischt, seht ihr? Es war der übliche Unfall: Wenn bei schneller Fahrt und besonders auf abschüssiger Straße nur die Handbremse benützt wird, macht sich das Hinterrad selbständig. Das geht meistens böse aus. Der Fahrer landet am Boden, gewöhnlich mit dem Kopf voraus. Genauso ist Jean über die Böschung geflogen. Ein Glück, daß er nicht mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen ist! So ist er nur ohnmächtig liegengeblieben. Es kann nicht allzu schlimm gewesen sein, sonst stände er nicht schon wieder hier.“
    „Aber mein Rad? Wenn ich einfach nur hingefallen bin, könnte es nicht so aussehen!“
    „Natürlich nicht. Dein Rad ist überfahren worden. Hast
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