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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald
Autoren: Michel Rouzé
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du nicht vorhin gesagt, daß dir gerade ein Wagen entgegenkam?“
    „Ja, er war direkt vor mir …“
    „Ein blauer Wagen, nicht wahr?“
    „Blau? Das weiß ich nicht. Doch, ja! Es fällt mir jetzt wieder ein, daß er blau war! Aber woher weißt du das?“
    „Ganz einfach. Hier sind ein paar Lacksplitter von seinem Kotflügel. Sie sind abgesprungen, als der Wagen dein Rad anfuhr, genau in dem Moment, wo du selber aus dem Sattel flogst. Deine Karre ist ihm unter die Räder gekommen. Darum ist sie so zugerichtet.“
    „So kann es nicht gewesen sein“, sagte Jean.
    „Warum nicht?“
    „Weil wir dann alles, was zu meinem Rad gehörte, auf der Straße gefunden hätten oder wenigstens etwas davon. Alle Teile waren aber um mich herum im Gebüsch verstreut.“
    „Ja, weil der feine Herr in dem Wagen ein Verkehrssünder war, ein Mörder. Zwanzig Meter weiter hat er angehalten. Man sieht die Bremsspur genau. Dann ist er hierher zurückgekommen, und als er sah, daß du bewußtlos warst, hat er mit dem Fuß alle Reste in den Graben geschleudert und ist weitergefahren, ohne sich um dich zu kümmern, nur damit er nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Wenn du ihn genau vor dir gehabt hast, muß er in der Kurve unverschämt weit links gefahren sein …“
    „So ein Gauner! Und können wir gar nichts tun, daß er bestraft wird?“
    „Wir können die ganze Geschichte auf der Polizei erzählen und die paar Stückchen Lack zeigen. Der Wagen muß beschädigt sein, und es wäre schon möglich, daß man ihn in irgendeiner Garage ausfindig macht. Aber wir dürfen uns nicht zu fest darauf verlassen. Eine Lehre kannst du aus der ganzen Sache ziehen, Jean: Nicht jeder, dem du an einem Steuer begegnest, muß ein geschickter und anständiger Fahrer sein. Es gibt überall Schweinehunde, die dich zusammenfahren und dann einfach türmen. Am besten traust du keinem über den Weg und bist selber vorsichtig und anständig für zwei. Immer schön rechts fahren, Zeichen geben, wenn du einbiegen willst, und nicht rasen wie verrückt, wenn es abwärts geht! Wärst du langsamer gefahren, dann hättest du Zeit gehabt abzustoppen, deine Rücktrittbremse wäre nicht kaputtgegangen, und du hättest ganz nach rechts ausweichen können, um diesem Halunken nicht in die Quere zu kommen … Verstanden?“
    „Verstanden“, antwortete Jean. Er überlegte angesichts der Trümmer seines Rades besorgt, wie er seinem Vater das Ganze beibringen sollte.
    „Glaubt ihr, daß man es wieder in Ordnung bringen kann?“ fragte er.
    „Hm! Wir werden auf jeden Fall alle Teile zusammensuchen. Vielleicht kann man das eine oder andere noch brauchen. Sieh mal! Der Dynamo und die beiden Lampen sind abgerissen, aber es scheint alles heilgeblieben zu sein. Tu das zu deinem Gepäck, Jean!“
    Der Junge hob die beiden Radtaschen auf, die in den Graben gefallen waren. Glücklicherweise waren sie kaum beschädigt, und auch ihr Inhalt war noch beisammen. Es gelang ihm, die ganze elektrische Ausrüstung des Rades unterzubringen. Dynamo, Vorderlicht und Rücklicht, Werkzeugtasche und Luftpumpe stopfte er in seinen Brotbeutel, und dann wurde alles miteinander auf den Sattel von Pierres Rad geladen. Pierre schob die hochbepackte ,Nähmaschine‘ bis Saint-Jean-le-Thomas. Jean schleppte die traurigen Überreste seines Rades auf der Schulter hinterher. Der kleine Ort lag zum Glück ganz nahe. Raymond war mit Jacques vorausgefahren und wartete vor einer Reparaturwerkstatt. Der Inhaber, ein dicker, gutmütig aussehender Mann in blauem Monteuranzug, besah sich die zerbeulten Stücke. Dann begann er, abwechselnd seine buschigen Brauen zu heben und zu senken, was seinem Mitgefühl und seiner Ohnmacht Ausdruck verleihen sollte. Die Jungen beteuerten ihm, daß sie durchaus kein Wunder von ihm erwarteten, sie baten ihn nur, das Rad aufzubewahren, bis sie es auf dem Rückweg wieder abholen oder mit ihm besprechen würden, was etwa noch damit anzufangen wäre.

    Für den Augenblick hatten sie sich durch den Unfall schon genügend verspätet. Jede vertrödelte Stunde ging dem Aufenthalt im Lager verloren. Als sie baten, inzwischen ein anderes Rad für Jean geliehen zu bekommen, wurde der Meister äußerst zurückhaltend. Sein Blick ging von den Gesichtern der Jungen zu dem zertrümmerten Fahrrad, das sie ihm als Pfand lassen wollten, und er schüttelte mit Nachdruck den Kopf. Nein, er hatte heute keine Räder mehr da. Das Schild im Schaufenster, das hing nur noch aus Versehen dort
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