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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: John Grisham
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der sich die elementaren Grundsätze der Rechtsprechung erst noch aneignen musste. »Es geht hier nicht um Menschen, die sich jederzeit eine Wohnung mieten könnten, Mr. Jacobs. Darum bezeichnet man sie ja als Obdachlose. Sie geben zu, dass Sie es waren, die diese Frau und ihre Kinder auf die Straße gesetzt haben, wo sie dann gestorben sind. Diesen Punkt würde ich gern in Anwesenheit von Geschworenen diskutieren.«
    Arthur ließ die Schultern hängen. Rafter, Malamud und Barry lauschten auf jedes Wort, und ihre Gesichter verrieten ihr Entsetzen bei dem Gedanken an Mordecai Greens möglichen Auftritt vor Geschworenen seinesgleichen.
    »Eine Haftung ist gegeben, Mr. Jacobs«, sagte DeOrio. »Sie können die Frage, ob die Mutter fahrlässig gehandelt hat, natürlich den Geschworenen vorlegen, wenn Sie wollen, aber ich würde es Ihnen nicht empfehlen.« Mordecai und Arthur setzten sich.
    Wenn wir im Verfahren die Haftung der Beklagten nachweisen konnten, würden die Geschworenen über die Höhe des Schadenersatzes beraten. Das war also der nächste Verhandlungspunkt. Rafter präsentierte den Bericht über die neuesten Trends in der Schadenersatzberechnung, den wir bereits kannten. Er sprach darüber, wie viel ein totes Kind nach gängigen Berechnungen wert war. Doch als er Lontaes beruflichen Werdegang und ihren zu erwartenden Verdienstausfall schilderte, wurde er sehr weitschweifig und machte dasselbe Angebot wie am Tag zuvor: siebenhundertsiebzigtausend Dollar. Diesen Betrag ließ er ins Protokoll aufnehmen.
    »Ich nehme an, das ist nicht Ihr letztes Angebot, Mr. Rafter«, sagte DeOrio.
    Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er sehr hoffte, dies möge nicht das letzte Angebot sein.
    »Nein, Euer Ehren«, sagte Rafter.
    »Mr. Green.«
    Mordecai stand auf. »Wir lehnen das Angebot ab, Euer Ehren. Diese sogenannten Trends sind für uns unerheblich. Mich interessiert nur die Summe, von der ich die Geschworenen überzeugen kann, und die wird, bei allem Respekt vor Mr.
    Rafter, sehr viel höher sein, als das, was er hier angeboten hat.«
    Niemand im Gerichtssaal zweifelte an seinen Worten.
    Er bestritt die Behauptung der Gegenpartei, ein totes Kind sei nur fünfzigtausend Dollar wert, und deutete an, in diese Berechnung seien die gängigen Vorurteile über obdachlose und obendrein schwarze Kinder eingeflossen.
    Gantry war der einzige am Tisch der Beklagten, der sich nicht wand. »Ihr Sohn geht in St. Alban’s zur Schule, Mr. Rafter. Würden Sie für seinen Verlust fünfzigtausend Dollar akzeptieren?«
    Rafters Nase war noch zehn Zentimeter von seinem Notizblock entfernt.
    »Ich kann jede Jury in diesem Gerichtssaal davon überzeugen, dass die beklagte Partei für jedes dieser drei kleinen Kinder mindestens eine Million bezahlen muss – genauso viel wie für irgendein Kind, das in Virginia oder Maryland in einen teuren Vorschulkindergarten geht.«
    Das war ein Tiefschlag. Jeder wusste, in welche Schulen die Kinder unserer Gegner gingen.

    Rafter war in seinem Vortrag nicht auf das Leid der Opfer eingegangen, und darum erzählte Mordecai nun ausführlich, wie die Burtons die letzten Stunden ihres Lebens verbracht hatten. Er schilderte ihre Suche nach einem warmen Unterschlupf und Essen, er schilderte den Schnee, die bittere Kälte und die Angst vor dem Erfrierungstod, er schilderte, wie sie sich verzweifelt bemüht hatten, nicht getrennt zu werden, und wie sie den Schrecken erlebt hatten, mitten in einem Schneesturm in einem klapprigen Wagen mit laufendem Motor zu sitzen und die Tankanzeige im Auge zu behalten.
    Es war eine beeindruckende Vorstellung, aus dem Stegreif dargeboten von einem begnadeten Geschichtenerzähler. Als Geschworener hätte ich ihm einen Blankoscheck gegeben.
    »Erzählen Sie mir nichts von Leid«, sagte er barsch in Richtung Drake & Sweeney.
    »Davon haben Sie nämlich keine blasse Ahnung.«
    Er sprach über Lontae, als hätte er sie jahrelang gekannt. Sie sei eine junge Frau gewesen, die von Anfang an keine Chance gehabt und alle vorhersehbaren Fehler gemacht habe, die aber - und das sei weit bedeutsamer - ihre Kinder geliebt und verzweifelt versucht habe, der Armut und dem Leben auf der Straße zu entkommen. Sie habe sich ihrer Vergangenheit und ihrer Sucht gestellt und sei dabei gewesen, ein Leben ohne Drogen zu führen, als sie von den Beklagten auf die Straße gesetzt worden sei.
    Der Ton seiner Stimme hob und senkte sich, schwoll an, wenn Mordecai seiner Verachtung Ausdruck gab, und wurde
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